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Schweig wenn du sprichst

Schweig wenn du sprichst

Titel: Schweig wenn du sprichst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roel Verschueren
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Telefonnummern der noch lebenden Familienmitglieder in Schwarz eingetragen. Und in Grau, mit kleinen, aufrufbaren Notizen, diejenigen, die inzwischen Ruhe auf einem der vielen flämischen Friedhöfe gefunden hatten. Gefallen im Krieg oder nach einem erfolglosen medizinischen Eingriff verschieden, gestorben bei einem Verkehrsunfall oder einfach an Altersschwäche. Über die Toten nur Gutes, aber die würden ihm in seinem Fall nicht weiterhelfen, daher markierte er die Lebenden und druckte diesen Teil der Familie aus.
    Seine Schwester hatte eine Eigenschaft, die ihm meistens unheimlich auf die Nerven ging. Aber diesmal war es nützlich, dass sie so übertrieben gut organisiert war. Sollte zufälligerweise ein schwarz geschriebener Name inzwischen grau geworden sein, würde sie sich das selbst nie verzeihen. Sie würde ihn bitten, die Tabelle zu löschen, und ihm innerhalb von wenigen Sekunden eine neue zuschicken. Vier Frauen und ein Mann waren auf Alberts Seite noch am Leben, drei Frauen und zwei Männer auf seiner mütterlichen Seite. Victor hatte seit vielen Jahren mit keinem mehr Kontakt gehabt. Gegen seine Vermutung waren diejenigen noch lebendig und gesund, die er schon lange unter der Erde geglaubt hatte. Gemüse und Abstinenz vom Rauchen und Trinken waren eindeutig keine Garantie für ein längeres Leben. Außerdem fiel Victor auf, je früher ein Onkel gestorben war, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass seine Witwe noch lebte, aber nicht umgekehrt. Die Witwer wohnten entweder bei Verwandten oder in einem Heim, die meisten Tanten hingegen lebten selbständig und allein. Statistiken hatten etwas Bewegendes.
    Er hatte irgendwo gelesen, dass Männer, die hundert Jahre oder älter wurden, eine lange und konstant glückliche Ehe hatten. Frauen dagegen, die dieses hohe Alter erreichten, waren entweder nie verheiratet gewesen, oder sie hatten ihren Mann um mehr als fünfzig Jahre überlebt. Er schickte allen noch lebenden Onkeln und Tanten einen Brief, ein Foto von sich, Lilly und Moira, einen frühen Weihnachts- und Neujahrsgruß und eine umfassende Liste mit Fragen. Jetzt musste er nur noch abwarten.
    Später am Tag erzählte er Lilly von seinem Besuch. Er sah, dass sie seine Verärgerung spürte, und versuchte sich zu mäßigen. Er reichte ihr ein Blatt und sagte, dass er den Inhalt für sie übersetzen würde.
    »Woher hast du das?«, fragte sie.
    »Ich habe mit meiner Digitalkamera Fotos von einem Brief gemacht, den ich gefunden habe. Ich habe sie zusammenmontiert und ausgedruckt.«
    Victor las den Brief vor. Als er fertig war, fragte Lilly: »Und du bist sicher, dass das die Handschrift deines Vaters ist?«
    »So sicher, wie er mein Vater war.«
    »Damit wäre ich vorsichtig«, lachte Lilly, »Studien zeigen, dass mehr als dreißig Prozent der Kinder auf diesem Erdball nicht von ihrem offiziellen Vater stammen.«
    Victor schaute sie verwirrt an. »Lilly, mein Vater ist im Jahr ’42 als Freiwilliger mit der Flämischen Legion nach Österreich gegangen.«
    »Nach Österreich«, sagte sie fröhlich. »Wenn das kein Zufall ist.«
    Victor zog die Augenbrauen zusammen. »Machst du dich lustig darüber?«
    »Soll ich weinen?«, fragte Lilly. »Oder habe ich irgendwas verpasst?«
    »Ich weiß nicht, wie du über die Nationalsozialisten denkst, die dafür gesorgt haben, dass Österreich 1938 widerstandslos annektiert werden konnte. Aber in meinem Alter feststellen zu müssen, dass mein Vater ein Kollaborateur war, finde ich überhaupt nicht witzig.«
    »Wie kann es sein, dass du das die ganze Zeit nicht wusstest?«
    »Ja, das frage ich mich auch. Hätte ich nicht per Zufall diesen Brief gefunden, dann wüsste ich es heute noch nicht. Tante Maaike hat mir bestätigt, dass mein Vater zu dem Datum, das dieses Dokument trägt, von Antwerpen nach Österreich aufgebrochen ist. Sie wusste nur nicht genau, wohin.«
    »Entschuldige«, sagte Lilly, »dass ich so auf locker gemacht habe. Ich glaube, wir gehen einfach anders damit um als ihr. Unsere Situation war eine andere. Du hast recht. Für dich hat das alles wahrscheinlich eine größere Bedeutung.«
    »Ich kann noch immer nicht verstehen, warum meine Mutter so plötzlich dichtgemacht hat«, sagte Victor. »Ich bin doch kein Fremder. Du hättest ihre Stimme hören sollen, als sie die Diskussion beendet hat.«
    »Vielleicht hast du sie zu sehr unter Druck gesetzt?«
    »Meine Mutter lässt sich nicht unter Druck setzen, Lilly. Sie ist knallhart und kann sich sehr gut

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