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Schweig wenn du sprichst

Schweig wenn du sprichst

Titel: Schweig wenn du sprichst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roel Verschueren
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ihretwillen. Übrigens, wenn du ohne Problem aus der Kirche austrittst, kann sie ja auch, falls sie das später möchte, in die Kirche eintreten.«
    »Okay.«
    »Ich würde es für meine Eltern tun. Weil sie es wichtig finden. Es ist eine Geste ihnen gegenüber, ein Schritt auf sie zu.«
    »Und hast du mit diesem Schritt ein Problem?«
    »Eigentlich schon, denn ich halte ihn für einen unzureichenden Grund.«
    »Dann musst du weiter nach einem Grund für dich selbst suchen.«
    »Und du? Hast du noch mal darüber nachgedacht?«
    »Lilly, ich hasse die Kirche und alles was damit zusammenhängt.«
    »Schon gut, Baby, ich brauch keine Zeichnung«, sagte Lilly, und fuhr fort: »Als ob ich das nicht wüsste. Aber für jemanden, der viele Antworten von anderen erwartet, gibst du selber ziemlich wenige.«
    »Wie bitte?«
    »Es würde vielleicht helfen, wenn ich dich besser verstehen könnte. Ich sehe zwar deinen Hass, ich höre dich sprechen, aber mir fehlt der Beweggrund. Du bist getauft, du hast die Kommunion bekommen, du bist mit deinen Eltern in die Kirche gegangen … Ich kenne das auslösende Ereignis nicht, ich weiß nicht, seit wann und warum du heute über die Kirche und den Glauben so negativ denkst. Also schone mich ein bisschen, bitte.«
    »Lilly, Tausende haben diese Geschichte erlebt. Meine tut nichts zur Sache.«
    »Kann schon sein, aber diese Tausenden liegen nicht alle bei mir im Bett. Die sind nicht der Vater meiner Tochter. Die sind nicht meine Lebensgefährten.«
    Victor schaute ihr direkt in die Augen.
    »Lass uns zu Bett gehen«, sagte er. »Ich lege Moira schon rüber. In zwei Stunden hat sie wieder Hunger.«
    »Ich bin gleich bei dir«, sagte Lilly und verschwand im Badezimmer.
    Lilly kam ins Schlafzimmer und kroch neben ihn ins Bett. Victor drehte sich auf den Bauch, stützte seinen schweren Kopf mit einer Hand, nahm einen Schluck Wasser und räusperte sich. »Es war ein vollkommen quadratisches Zimmer mit einer hohen Decke. Vielleicht erschien sie so hoch, weil ich erst dreizehn war und nicht besonders groß, aber ich erinnere mich, dass es so aussah, als passte ich mindestens dreimal zwischen Boden und Decke. Alles war dunkelbraun, wie es nur übertrieben gebohnerte Möbel sein können, und fast alles war aus Holz. Die Wände, der Boden, die Tür, der Schreibtisch, der Sessel mit fahl gewordenem violettrotem Bezug, die beiden Stühle mit Armlehnen, alles war aus Holz. Aus den Vertäfelungen ragten Wandlampen mit Schirmen hervor, die einen schwachen Schein auf den Boden und alles, was dort übereinandergestapelt lag, warf. Ich erinnere mich an viele Bücher. Büchermassen, in offenen, eingebauten Holzschränken. Sie bedeckten die ganze Wand, in welche die Tür zum Zimmer eingelassen war. Dort hing ein hölzernes Kruzifix, genau in der Mitte über die Tür genagelt. Die Gemälde waren dunkel und düster, mit Bildern des leidenden Christus auf dem Kalvarienberg, beim letzten Abendmahl und fischend auf einem See. Und ich erinnere mich an den Geruch, vor allem an den Geruch. Ich erkenne ihn manchmal wieder, wenn ich eine Kirche betrete oder ein altes Kloster. Der Geruch war säuerlich, dazu kalte Asche von billigen Zigarren und erloschenen Pfeifen. Und Staub und ungewaschene Kleidung. Ich spüle abends immer noch meine Nase mit Seife aus, wenn ich in einer Kathedrale oder sogar in einer alten Schule war. Aber ich werde diesen Geruch niemals los.«
    Lilly wollte ihn unterbrechen, aber Victor legte einen Finger auf ihre Lippen.
    »Es fiel wenig Licht durch die zwei kleinen Klappfenster, die niemals geöffnet wurden. Das Licht war gedämpft, gefiltert vom herumwirbelnden Staub. Zwei breite, flache, dampfende Strahlen, die beinahe unmerklich Zentimeter um Zentimeter über den Boden krochen, während die Zeit verstrich, bis sie den Schreibtisch erreichten und dann plötzlich erloschen. Im größten Sessel, hinter dem riesigen, rechteckigen Schreibtisch, saß er eingesunken in seinem glänzenden, abgetragenen schwarzen Anzug. Ich sehe ihn dort sitzen, im grünen Schein der kupfernen Bibliothekslampe mit Porzellanschirm. Er war klein und kompakt, gedrungen und dürr, hatte scheue Augen hinter seinen fettigen und befingerten dicken Gläsern in einem dünnen schwarzen Brillengestell. Ich stellte mir vor, dass er der Sohn einer Mutter war, die sich sehnlichst einen Seminaristen gewünscht hatte, weil sie selbst auf diese Weise näher an Gott herankommen konnte. ›Der Hase‹ hatte eine schwere, rosafarbene

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