Schweig wenn du sprichst
Glaswand trennte sie voneinander. »Hast du eine schmutzige Windel? Ja … du hast die Windel voll. Dann wechseln wir die jetzt.«
Walter musste jetzt Anfang siebzig sein, dachte Victor. Hoffentlich jemand, der noch im Leben steht und bei Verstand ist. Er legte Moira in den Kinderwagen, nahm den Aufzug nach unten und spazierte zum Markt. Er kaufte frische Brötchen, Croissants, frische Milch, eine Zeitung und ging zum Fischstand. »Haben Sie heute Muscheln?«, fragte Victor.
»Französische und holländische, aus der Provinz Seeland.«
»Zwei Kilo seeländische, bitte.«
Er lief mit Moira über den ganzen Markt, kaufte etwas Käse und Tomaten, Suppengrün und Koriander und kehrte nach Hause zurück.
»Acht Uhr, Schichtwechsel.«
»Okay, okay, ich stehe auf«, sagte Lilly. Sie kam morgens etwas schwerer aus dem Bett, als sie abends hineinfiel.
Victor brachte Lilly Kaffee und sagte, dass er in seinem Arbeitszimmer sei und jemanden anrufen müsse.
»Victor, es ist zehn vor acht. Möchtest du so früh angerufen werden?«
»Walter war immer schon ein Frühaufsteher.« Victor ging aus dem Zimmer.
»Ach, komm … Findest du nicht, dass du anfängst zu übertreiben?«, fragte Lilly. »Es gibt noch ein Leben außerhalb der Suche nach der Vergangenheit deines Vaters, Victor.« Und lauter: »Lass uns erst zusammen frühstücken und ruf ihn danach an!«
Victor hörte nicht auf sie. Er schloss die Tür seines Arbeitszimmers und wählte Walters Nummer.
»Walter, guten Morgen. Hier ist Victor.«
»Victor … Victor … Der von Albert?«
»Victor von Albert.«
»Victor, was für ein schöner, sonniger Morgen«, sagte Walter begeistert.
»Ich weiß, dass es früh ist, und lange her.«
»Was ist früh und was ist lange her?«, fragte Walter.
»Ich rufe dich aus Wien an.«
»Ein früher Anruf und dann auch noch aus Wien. Alles in Ordnung?«
»Alles bestens. Ich wohne jetzt hier.«
»Ich habe schon von deiner Mutter gehört, dass du im Ausland wohnst. Und dass du eine Tochter hast. Herzlichen Glückwunsch.«
»Walter, ich möchte mit dir über meinen Vater sprechen. Weil es niemand anderen gibt, der ihn so gut kannte wie du.«
»Abgesehen von deiner Mutter vielleicht.«
»Und die weigert sich zu sprechen.«
»Dann kann ich mir vorstellen, worum es geht«, sagte Walter. »Ich habe deinem Vater, lange bevor er gestorben ist, versprochen, nie von mir aus über seine Vergangenheit zu reden. Aber da du jetzt darum bittest, glaube ich nicht, dass ich dieses Versprechen breche.«
»Wann können wir uns sehen?«
»Ich reise übermorgen für sechs Wochen zu meiner Tochter nach Neuseeland. Danach, wenn du möchtest.«
»Sechs Wochen! Wohnt sie da?«
»Schon seit mehr als zehn Jahren«, sagte Walter. »Und ich versuche, sie einmal pro Jahr zu sehen. Sie hat keine Zeit, nach Belgien zu kommen, sagt sie. Ich glaube eher, dass sie keine Lust dazu hat.«
»Sechs Wochen. Nun ja, es geht nicht anders.«
»Gibt es etwas, das nicht so lange warten kann?«, fragte Walter.
»Nein, genieß ruhig deine Reise und ich rufe dich an, wenn du zurück bist. Danach besuche ich dich.«
»Ich freue mich darauf.«
Victor ging ins Schlafzimmer, aber das war leer. Er lief weiter zur Küche und nahm am Frühstückstisch Platz. Er streichelte Moira über den Kopf und wollte Lilly einen Kuss geben, aber sie zog sich zurück. »He, was ist heute Morgen mit dir los?«
»Ich verstehe deine Leidenschaft, Victor, aber ich würde mich freuen, wenn es nicht in so einen verbissenen Solotrip ausartet.«
»Ausarten wird es nicht.«
»Du bist auf dem besten Wege«, sagte Lilly. »Du sprichst über nichts anderes mehr und bist pausenlos in Gedanken. Du bist nicht bei uns, weißt du, was ich meine?«
»Nicht direkt.«
»Nun, es wäre für uns angenehmer, wenn du etwas mehr über das, wonach du suchst, sprechen würdest. Wie du über das denkst, was du schon herausgefunden hast, was die nächsten Schritte und Pläne sind, denn das alles hat auch Einfluss auf mich. Und du vergisst, dass noch andere Dinge wichtig sind.«
»Und die vernachlässige ich?«
»Es wirkt allmählich so«, sagte Lilly.
»Zum Beispiel?«
»Hast du zum Beispiel noch einmal über Moiras Taufe nachgedacht?«, fragte Lilly.
»Dann plane sie halt, diese Taufe«, seufzte er plötzlich.
»Echt? Meinst du das ernst oder sagst du es mir zuliebe?«
»Das tut doch nichts zur Sache.«
»Das tut es wohl, Victor!«
»Du kennst doch mein Problem mit all dem. In welcher Sprache soll
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