Schweigende Mauern: Historischer Kriminalroman aus Trier (German Edition)
wurde seine Gegenwehr geringer. Ihm war klar geworden, dass er nicht entkommen konnte.
»Wer bist du?« Nikolaus hatte sich neben dem Burschen niedergebeugt.
Die Antwort waren ein grimmiger Blick und Zähneknirschen.
»Wer sind deine Kumpane?«
Wieder blieb er still.
»Deine Freunde werden auch bald gefangen sein, und dann geht es euch an den Kragen. Die Schikane der kleinen Händler und Handwerker ist nun vorbei.«
Der Bursche drehte sich weg. Er wollte nicht antworten.
In diesem Augenblick erscholl ein Ruf. »Was geht hier vor?«
Der Dompropst eilte herbei – es war beinahe ein Laufen. Seine Soutane wehte hinter ihm her. Als er bei Nikolaus angekommen war, fuhr er ihn an: »Was hat das zu bedeuten? Redet!«
»Ich weiß jetzt, wieso einige Händler mit verbeultem Gesicht oder gebrochenem Arm herumlaufen.«
»Was hat das denn hiermit zu tun?«
»Eine Bande junger Burschen stellt die Ladenbesitzer vor die Wahl: entweder Geld abliefern oder Prügel bekommen. Und eben habe ich sie auf frischer Tat ertappt. Hier ist einer von ihnen. Hinter den anderen sind die Soldaten her.«
Von Meuren stand mit offenem Mund im Tor zum Dombezirk und blickte abwechselnd auf den Gefangenen am Boden und auf den Juristen des Kurfürsten. Endlich hatte er sich wieder gefangen und fragte mit heiserer Stimme: »Und jetzt?«
»Wir warten, dass die Wachen die anderen bringen. Ansonsten müssen wir versuchen, aus diesem Kerl hier wenigstens seinen Namen herauszubekommen. Vielleicht finden wir dann noch weitere, die zu den Gaunern gehören.«
»Er will also nichts sagen?«
»Genau.«
Meuren reckte seine kleine Gestalt. Langsam bekam er sich wieder in den Griff. »Ich werde mich schon darum kümmern, dass der stumme Fisch sprechen lernt. Ich glaube, bald wird er singen wie ein Vogel, wie eine Lerche so schön.«
Dann grinste er böse.
Nikolaus wollte sich gar nicht vorstellen, was der Gefangene heute noch auszuhalten hätte. Egal ob Verbrecher oder nicht, Folter hatte nichts mit Strafe zu tun.
Der Dompropst wandte sich wieder an Nikolaus: »Befragt die Händler oder wer auch immer von diesen Spitzbuben ausgeraubt wurde. Ich will Namen hören. Ich will wissen, warum der Rat das nicht unterbunden hat.«
»Aber solange noch nicht alle Burschen gefangen wurden, wird keiner etwas sagen wollen. Die werden entweder aus Angst oder aus Scham nichts sagen.«
»Quatsch! Kümmert Euch darum! Das ist Eure Aufgabe! Ihr habt ungefragt Eure Nase da hineingesteckt. Jetzt müsst Ihr sehen, wie Ihr damit klarkommt.«
Gerade wollte sich Meuren umdrehen und verschwinden, als die Soldaten ankamen, die die beiden Burschen verfolgt hatten. Mit hängenden Schultern und außer Atem mussten sie nun beichten, dass ihnen die beiden entwischt waren. In der Fleischstraße waren sie plötzlich in eine Gasse gelaufen und wie vom Erdboden verschluckt gewesen. Keiner hatte sie mehr gesehen.
Der Dompropst kanzelte die Soldaten in wenig priesterlicher Manier ab und schickte sie wieder los. Dann befahl er den anderen, den Gefangenen in die Wachstube zu bringen, damit er verhört werden konnte.
Eine Wache meldete sich zu Wort: »Sollten wir ihn nicht erst zum Zender bringen?«
»Was? Der bleibt so lange in der Domstadt, wie ich es für nötig befinde. Ist das klar?«
Der Soldat nickte nur und brachte den Gefangenen fort.
Nikolaus fragte den Dompropst: »Entschuldigt bitte die Frage. Wer oder was ist der Zender?«
Der schaute den jungen Mann von oben bis unten an und antwortete nach einem Moment. »Der Zender war ursprünglich der Marktvorsteher, dessen Funktionen auch die der städtischen Polizei umfassten. In der ältesten Ordnung für den Zender heißt es, das er in allen Sachen, die nicht an Haut und Haar gehen, also nicht Hochgerichtssachen sind, die Bürger strafen soll.«
»Er ist also eher der Vertreter des Rates.«
»Genau. Daneben haben wir den Schultheißen als Vertreter der Hoheitsrechte des Erzbischofs gegenüber der Stadt. Aber der Schultheiß zu Trier darf keinen Bürger gefangen nehmen ohne Urteil der Schöffen. Außer wegen öffentlichen Mordes oder Diebstahls oder wenn der Verbrecher auf frischer Tat erwischt wird. Wurden früher die Gefangenen in den kurfürstlichen Palast geliefert, so werden sie nun ins städtische Gefängnis im Rathaus gebracht.«
»Und das Gefängnis verwaltet der Zender.«
»Ihr habt es erfasst.«
»Daher also die Frage des Soldaten.«
»Stimmt. Aber nun ist genug mit der Schulstunde. Ich habe noch etwas zu
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