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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Innere der hellerleuchteten Station. Das Gespräch war vorbei. Carsten fragte sich, welche der wartenden Menschen auf Nawatzkis Kommando hörten. Er sah Männer, Frauen, Kinder und traute keinem Einzigen von ihnen.
    Ein Angestellter der Seilbahn öffnete die Tür. Die drei Hexen zogen sofort lärmend davon, mischten sich unters Volk. Carsten blieb stehen und wartete auf die Ankunft der nächsten Gondel.
    Als Nina ausstieg, tat sie es betont ruhig und mit ihrem herzlichsten Lächeln. Ihre drei Begleiter waren ebenso schnell verschwunden wie Fenn und die beiden anderen.
    »Verdammte Schaukelei«, sagte sie laut genug, dass jeder der Umstehenden es hören konnte.
    Er nickte. »Mir ist schlecht.«
    »Mir auch«, sagte sie, »totschlecht.«
    Tafuri wischte Knäckebrotkrümel von seinen Armaturen. Michaelis fragte sich, wann in dem Raum zuletzt geputzt worden war. Er hatte sich bislang nie Gedanken über die Hygiene in Tafuris Geheimkammer gemacht, doch als er sich jetzt umsah, bereitete ihm der Gedanke Kopfzerbrechen. Boden, Wände und Ablagen waren allesamt penibel sauber. Der Italiener schien sich große Mühe zu geben, seine hochempfindlichen Geräte nicht zu Schaden kommen zu lassen. Die Vorstellung, wie Tafuri mit Lappen und Bürste über den Boden kroch, hob seine Stimmung ungemein.
    Für einen Augenblick.
    Dann sagte Tafuri: »Hier ist Ihr Gespräch. Nawatzki und von Heiden über Konferenzschaltung.«
    »Beide?«, fragte Michaelis erstaunt.
    Tafuri nickte. »Wenn die in Frankfurt das geschafft haben, ohne auf die Umlegung der Leitungen über Belgien und die Schweiz zu verzichten, ist das eine ganz schöne Leistung. Meine Hochachtung.«
    Er schaltete das Gespräch auf die Lautsprecher. Atmosphärisches Knistern flutete in den Raum wie Meerwasser in den Bauch eines angeschossenen Unterseebootes. Er fand es anmaßend, dass der Italiener zuhören wollte, konnte es ihm aber nicht verbieten.
    »Was ist bei Ihnen los?« Nawatzki sprach ruhig und überlegt wie immer, aber Michaelis spürte die unterschwellige Wut in seiner Stimme. Die Worte ließen ihn frösteln.
    »Nichts, was Ihnen Sorge bereiten müsste«, erwiderte er matt.
    Tafuri saß in seinem Sessel, zurückgelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt und ein Lächeln auf dem Gesicht, dessen Bedeutung irgendwo zwischen Hohn und Höflichkeit liegen mochte. Michaelis verspürte den brennenden Wunsch, den Schädel des Italieners in einen seiner Monitore zu hämmern. Aber das musste warten; wahrscheinlich für immer. Tafuri war ihm an Körperkraft haushoch überlegen. Und in solchen Augenblicken hatte er das beängstigende Gefühl, dass er außerdem auch der bessere Taktiker war. Woher wusste Nawatzki von Worthmanns Ausflug zur Walpurgisnacht? Gab es unter den Männern, die er auf seine Spur angesetzt hatte, Spitzel, die Frankfurt pausenlos auf dem Laufenden hielten? Oder war es Tafuri selbst, der sämtliche Informationen gleich an die Zentrale weitergab?
    Nawatzkis Stimme nahm einen schneidenden Unterton an. »Sie sollten es mir überlassen, worüber ich mir Sorgen mache. Ihren Rapport, bitte!«
    Michaelis verzog keine Miene. In präzisen Sätzen berichtete er von der Fahrt nach Thale, von der Beobachtung, dass Worthmann und Nina in zwei separate Gondeln eingestiegen waren und während der Fahrt zum Hexentanzplatz mit maskierten Fremden allein gewesen waren.
    »Wie konnte es dazu kommen?«, fragte Nawatzki.
    Michaelis atmete tief durch. Dann wiederholte er, was er bereits Tafuri gesagt hatte. »Wir können ihn nicht in der Redaktion einschließen. Wenn wir nicht wollen, dass er Verdacht schöpft, muss er sich weiterhin frei bewegen können.«
    Von Heiden war bisher nur als leises, rhythmisches Atmen im Hintergrund der Leitung präsent gewesen. Jetzt schaltete er sich ein. »Das klingt aber doch, als ahne er längst, um was es geht.«
    »Er tanzt uns auf der Nase herum«, sagte auch Nawatzki. »Sie hätten Mittel und Wege finden müssen, ihn in Tiefental zu halten. Spätestens nach der Geschichte im Krankenhaus.«
    »Verzeihen Sie bitte, wenn ich mich einmische«, ergriff nun Tafuri das Wort. Michaelis befürchtete, dass er ihm in den Rücken fallen würde; umso größer war sein Erstaunen, als der Italiener sagte: »Ich glaube, Michaelis hat recht. Wir hätten Worthmann keinen Tag hier halten können, wenn wir versucht hätten, ihn in Tiefental zu isolieren. Die Fahrt in die Klinik war ein Fehler, das wissen wir. Aber Thale ist eine andere Sache. Keiner von uns kann

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