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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Weinte sie? Lieber Himmel, bitte lass sie nicht weinen!
    »Wann wirst du endlich Schluss machen?«, fragte sie schließlich. Die Worte kamen sehr, sehr langsam. »Leg deinen verfluchten Rang ab, und komm zurück zu deiner Familie. Dieses Land braucht dich nicht. Es gibt genug Soldaten. Nach all den Jahren hast du das Recht, aufzuhören, ohne dass man dir Vorwürfe macht.«
    Er seufzte leise. Wenn sie nur wüsste, wie sehr er selbst sich das wünschte. Aber so einfach ging das nicht. Bei der Bundeswehr hätte er seine Sachen hinschmeißen können. Aber das hier war nicht die Armee. Das hier war das Netz, und selten zuvor war ihm der Begriff passender erschienen. Er selbst befand sich hilflos mitten drin; in seiner Vorstellung hatte Nawatzki acht schwarze, borstige Beine.
    Trotzdem fasste er einen Beschluss. Es war längst an der Zeit dazu.
    »Es ist das letzte Mal«, sagte er. »Danach höre ich auf.«
    Gabis Stimme war voller Zweifel, trotzdem klang sie sanft, fast ein wenig verständnisvoll. »Lüg mich nicht an. Du wirst nie damit aufhören.«
    »Doch«, sagte er fest, und zum ersten Mal war es ihm wirklich ernst. »Wenn diese Sache hier vorüber ist, mache ich Schluss.«
    »Versprochen?« Eine zaghafte Hoffnung.
    »Versprochen.«
    Sie küssten sich zum Abschied durchs Telefon. Er wünschte sich, sie ansehen zu können, ihre Umarmung zu spüren, aber stattdessen war da nur das leere Hotelzimmer, und ihre Stimme kam aus einer grauen Plastikmuschel. Er legte auf und fühlte sich elend.
    Er würde sein Versprechen halten. Die Kraft hast du nicht, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf.
    Wir werden ja sehen.
    Allerdings. Denk an Nawatzki. Und an die anderen, die es versucht haben. Einbahnstraße, mein Freund.
    Er kam nicht dazu, länger darüber nachzudenken. Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken.
    »Ist offen«, sagte er, ohne aufzustehen.
    Die Tür öffnete sich, und Nadine trat ins Zimmer. Sie trug schwarze, enge Jeans und einen Pullover mit weitem Rollkragen. Das gelockte rote Haar floss über ihren Rücken bis hinab zur Taille. Sie hatte kein Make-up aufgelegt, aber ihr Gesicht schimmerte ebenmäßig und glatt, als lächelte es ihm aus den Hochglanzseiten eines Modeprospektes entgegen. Sie sah nicht aus wie jemand, der Menschen tötete.
    Noch bevor sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, bemerkte sie, in welcher Stimmung er sich befand. Rasch kam sie näher und setzte sich neben ihn auf die Bettkante.
    »Was ist los?«, fragte sie stirnrunzelnd.
    Langsam wandte er den Kopf zu ihr um. Einen Moment lang sah er sie an, als hätte er jetzt erst ihre Anwesenheit wahrgenommen. Dann klärte sich sein Blick.
    »Nichts.«
    »Du hast mit deiner Frau gesprochen, nicht wahr?«
    Ihr Verständnis überraschte ihn. Als hätte er nicht längst begriffen, wie sie zu ihm stand. Ein Grund mehr, so schnell wie möglich aus dieser ganzen Sache auszusteigen. Eine Dreiecksbeziehung war das Letzte, was er jetzt brauchen konnte.
    »Nein«, sagte er.
    »Lüg mich nicht an.«
    Von wegen Übung macht den Meister. »Na und?«, fragte er.
    »Schlimm?«
    »Sei nicht albern.«
    »Du hast Heimweh, das ist alles.«
    »Heimweh?«, sagte er höhnisch. »Lieber Himmel, ich mache diesen Job seit Jahren. Warum sollte ich plötzlich Heimweh haben? Ich bin kein Kind mehr, gottverdammt!« Die Heftigkeit seiner Reaktion überraschte ihn selbst. Wahrscheinlich machte er sich dadurch nur noch mehr zum Idioten.
    Nadine schüttelte traurig den Kopf. »Du warst doch früher ehrlich zu mir. Warum bist du es jetzt nicht mehr?«
    »Ich …«, begann er, senkte dann den Kopf und verstummte.
    Keine Diskussion mehr.
    Sie griff nach seiner Hand und hielt sie fest. Einen Augenblick lang glaubte er, sie würde sich vorbeugen und versuchen, ihn zu küssen, aber sie tat es nicht. Sie blieb einfach neben ihm sitzen, hielt mit beiden Händen seine Finger umschlossen und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln.
    »Das alles hier kann nicht mehr ewig dauern«, sagte sie.
    Er nickte. »Ich steige aus.«
    Sie ließ seine Hand los. Ein Schrecken kroch über ihr hübsches Gesicht. »Du willst was? Bist du verrückt geworden?«
    »Aussteigen«, wiederholte er und brachte erstmals ein halbherziges Lächeln zu Stande. »Aber behalte es für dich.«
    Sie starrte ihn fassungslos an. »Nawatzki wird das niemals zulassen.«
    »Was kann er denn tun? Mich umbringen?«
    »Zum Beispiel.«
    Er nickte. »Wahrscheinlich wird er das versuchen.«
    »Redest du dir ein, du

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