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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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feuchten Stoff über sein Gesicht. Die Berührung fühlte sich gut an.
    »Vielleicht war deine Entscheidung richtig«, sagte sie, »trotzdem hätte nicht viel gefehlt, und wir wären aufgebrochen, um herauszufinden, was passiert ist. Es hätte eine Menge Ärger geben können.«
    »Waren die beiden anderen genauso besorgt?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nicht um dich. Um den Auftrag. Rochus ist ein Idiot und Tomas noch ein Kind. Solche Leute sind sehr schnell für irgendwas zu begeistern.«
    Er nickte. »Du kennst die beiden?«
    Sie verzog abfällig den Mund. »Ich kenne Rochus.«
    »Ihr habt zusammengearbeitet?«
    »Nein. Wir sind gemeinsam ausgebildet worden. Er war schon damals ein Schwein.«
    Niklas grinste. »Er hat euch beim Duschen beobachtet?«
    »Der nicht. Rochus mag keine Frauen, nicht wirklich. Er mag Waffen, Einsätze und die Sache.«
    »Nicht die schlechtesten Voraussetzungen.«
    »Ja, offensichtlich. Er ist überzeugt, dass er nach dieser Geschichte hier befördert wird.«
    »Gut möglich.«
    »Er ist ein Fanatiker. Alles andere schert ihn einen Dreck. Wir sollten auf ihn achtgeben. Und darauf, was er Tomas ins Ohr flüstert.«
    Das verwunderte Niklas. »Eben sah es nicht so aus, als lasse sich der Kleine allzu viel von ihm sagen.«
    Nadine hob die Schultern. »Ist nur so ein Gefühl.«
    Plötzlich lächelte sie und ließ die Hand mit dem Tuch sinken. Es war das erste Mal seit langem, dass sie allein miteinander sprachen.
    »Wie geht's deiner Frau?«, fragte sie.
    »Gut.« Er wunderte sich ein wenig, dass sie von sich aus auf Gabi zu sprechen kam. Früher hatte es wegen ihr Probleme gegeben. »Die Kinder machen sich großartig. Fabian ist Klassenbester.«
    Er spürte ihren warmen Atem und roch den Duft ihres Haars. Nadine war immer noch so schön wie bei ihrem ersten gemeinsamen Einsatz. Damals hatten sie einen Mitarbeiter der russischen Botschaft entfernt, ein unwichtiger Mann, doch sein Verschwinden war Warnung genug. Beide hatten damals Zweifel am Sinn solcher Aktionen. Im Gegenzug würde ein Deutscher in Leningrad von Straßenräubern ermordet werden. Oder in Moskau einen tödlichen Autounfall haben. Es war immer das gleiche ermüdende Muskelspiel mit wechselnden Gewichten.
    »Du bist immer noch Lehrer«, sagte sie, mehr Feststellung als Frage.
    »Schulleiter.«
    Sie kicherte. »Das ist nicht wahr … Du als Direktor? Meiner war alt, hatte graue Haare, und wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man die Prügelstrafe niemals abgeschafft.«
    »Ein vernünftiger Mann«, sagte er und grinste. »Ich hoffe, du hast deine Abreibung bekommen?«
    Sie trat ihm vors Schienbein, nicht wirklich fest, aber hart genug, dass es weh tat; er machte einen Satz nach vorne, sie versuchte eine Drehung, und dann hielt er sie plötzlich in den Armen. Sie lachten wie zwei kleine Kinder, die auf dem Schulhof miteinander rauften. Sie presste ihren Mund auf seinen und küsste ihn, lange und zärtlich. Als ihre Zungenspitze nach seinen Lippen tastete, zog er sich zurück.
    »Tut mir leid«, sagte er sanft und löste sich aus ihrer Umarmung. Einen Augenblick lang sahen sie sich wortlos an. Er spürte jeden Schlag seines Herzens, als wollte es sich mit aller Kraft aus seinem Gefängnis befreien.
    Dann, plötzlich, erschien ein Lächeln auf Nadines Zügen, ein Ausdruck zwischen Bewunderung und Enttäuschung. »Gabi hat großes Glück gehabt«, sagte sie leise.
    Bisher hatte sie Gabi nie beim Namen genannt. Jetzt war es, als sei ein Damm zwischen den Frauen gebrochen. Ein Damm, von dessen Kante er endgültig zu einer Seite überkippte. Kein angenehmes Gefühl.
    »Wir sehen uns morgen Früh«, flüsterte sie. Sie drückte seine Linke mit beiden Händen, fest und warm, dann drehte sie sich um und verließ das Zimmer. Eine ganze Weile blickte er wie erstarrt hinter ihr auf die geschlossene Tür, so, als wehe ihr Haar noch lange danach als leuchtender Schimmer hinter ihr her, rot und schön und endlos.

Kapitel 7
    Der kleine alte Mann stand auf der anderen Seite der Kreuzung. Carsten entdeckte ihn, während er auf das Umschalten der Ampel wartete. Der Mann trug einen langen braunen Mantel, der fast bis zum Boden reichte, und hatte ihm den Rücken zugewandt. In beiden Händen hielt er Metallspachtel, mit denen er Plakate von einer hohen, fensterlosen Hauswand kratzte. Darunter kamen, wie Teile eines gewaltigen Puzzles, Bruchstücke eines Wandgemäldes zum Vorschein. Etwa die Hälfte war bereits zu erkennen; ein buntes Bild mit

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