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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Ihre Bilder. Um Ihre Kunst. Um das, was die Stadt mit Ihren Gemälden anstellt. Die Missachtung Ihrer Werke ist ein Skandal.« Carsten betete im Stillen, dass er nicht allzu dick aufgetragen hatte.
    Viktor schien auf den Schwindel anzuspringen. »Das ist es in der Tat«, sagte er.
    Wenn Carsten einmal im Haus war, würde Viktor mit ihm sprechen, davon war er überzeugt. »Das Plakatieren auf Ihren wunderbaren Bildern muss ein Ende haben«, sagte er. Jedes Wort schlug einen Keil in das Misstrauen des Malers. Schließlich öffnete er die Tür.
    Der Hauch eines Lächelns stahl sich auf seine Züge. »Im Alter wird man anfällig für Komplimente. Ganz besonders, wenn man lange keines mehr gehört hat.«
    Er zog die Tür jetzt ganz auf und trat zur Seite. »Kommen Sie herein, junger Mann. Und vergessen Sie Ihren Fuß nicht.«
    Carsten rang sich ein Lächeln ab.
    Ein hoher Gang führte tiefer ins Haus hinein. Die Decke war gewölbt und mit prächtigen Malereien verziert. Wände und Türen hatte man mit goldenen Leisten und Schnörkeln abgesetzt, einige Bilder, die viel zu alt waren, als dass sie von Viktor selbst stammen konnten, hingen in schweren Rahmen. Nirgends war nur ein einziges Möbelstück zu sehen. Der lange Flur und die riesige Diele, in die er führte, waren vollkommen leer. Zudem herrschte ein düsteres Zwielicht. Die meisten Lampen, die in Halterungen an den Wänden saßen, waren dunkel, nur zwei schwache Birnen erhellten den Korridor.
    Wortlos führte Viktor ihn in einen Saal von enormen Ausmaßen. An der Decke hingen zwei Kronleuchter, doch auch an ihnen brannte kein Licht. Dunkelrote Samtvorhänge vor den Fenstern, vier, fünf Meter hoch, ließen keinen Sonnenstrahl ein. Allein zwei Stehlampen, jede an gegenüberliegenden Seiten des Saales, spendeten spärliches Licht. Genau in der Mitte des Raumes standen vier Sessel in kreuzförmiger Anordnung.
    Der alte Mann wies Carsten mit einer Handbewegung einen der Sessel zu und nahm dann selber Platz. Der beschmierte Kittel auf den Polstern schien ihn nicht zu kümmern.
    »Sie wollen also über meine Bilder schreiben. Und über mich, nehme ich an, auch wenn Sie es nicht zugeben wollen.« Viktor lächelte, aber Carsten war nicht sicher, wie es gemeint war.
    Trotzdem nickte er und sah sich um. »Ich bin überrascht, hier drinnen keines Ihrer Werke zu sehen.«
    »Ich male sie, deshalb muss ich sie nicht den ganzen Tag um mich haben.« Er legte den Zeigefinger an seine Stirn. »Jedes einzelne ist hier oben drin, schon bevor sein Abbild auf der Leinwand erscheint. Jedes Motiv, jeder Pinselstrich. Das eigentliche Gemälde ist nur eine Reproduktion, nützlich allein, um sich anderen mitzuteilen.«
    Carsten hätte ihn gerne gefragt, wie er zu diesem Haus gekommen war, sparte sich die Frage aber auf. Viktor hatte Kontakte zur Staatssicherheit gehabt, und möglicherweise hatte man ihm den Prunkbau aus diesem Grund zugeschoben. Er wollte den Maler nicht gleich mit seiner ersten Frage verärgern und zum Schweigen bringen.
    Doch als hätte Viktor in seinen Augen lesen können, sagte er: »Dieses Haus gehörte schon im letzten Jahrhundert meiner Familie. Meine Sympathie und meine Arbeit für die Machthaber haben dafür gesorgt, dass nie jemand anderes Anspruch darauf erhoben hat. Sie sehen, ich stehe zu dem, was ich getan habe.«
    »Wie kommt es, dass es in einer Stadt wie Tiefental so prächtige Bauten gibt?«
    »Sie denken an Ihre Redaktion, nicht wahr? Nun, es gibt eine Reihe riesiger Anlagen hier in der Stadt, vor allem an ihrem äußeren Rand. Weiß der Himmel, warum die anderen niemals abgerissen wurden. Meine politischen Ansichten haben mich trotz allem nie blind für die architektonischen Ungeheuerlichkeiten in unserem Land gemacht. Ich bin Künstler. Früher habe ich mir oft gesagt, dass es der Wald ist, der Tiefental beschützt. Alberner Aberglaube, doch Tatsache ist, dass die abgelegene Lage die Stadt vor allzu schlimmen Verschandelungen bewahrt hat. Niemand hat jemals großes Interesse an Tiefental gezeigt. Das ist einer der Gründe, warum ich über all die Jahre hinweg hiergeblieben bin. Eine Villa in Potsdam oder Berlin hat mich nie gereizt. Verstehen Sie das?«
    Er wartete Carstens Nicken ab, dann fuhr er fort. »Was Ihre Redaktion angeht, liegt der Fall natürlich ähnlich wie hier. Aber das wissen Sie sicherlich.«
    Carsten schüttelte den Kopf. Das Gespräch drohte abzukippen, aber jetzt war sein Interesse geweckt. »Inwiefern?«, fragte er.
    Der alte Mann

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