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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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am oberen Rand der Kopie festgehalten: der vierte Dezember 1992. Vor fast fünf Monaten.
    »Für den ersten Dezember hatte ich Michaelis einen Flug nach Budapest gebucht«, sagte sie. »Ich erinnere mich daran, weil er an diesem Tag Geburtstag hatte. Am vierten kam er zurück.« Ihre Augen waren weit aufgerissen. Carsten sah, dass ihre Hand, die das Blatt hielt, zitterte.
    »Das hat nichts zu bedeuten«, sagte er matt und wunderte sich selbst, wie schwach seine Stimme klang.
    »Wenn es ein Zufall ist, warum hat Michaelis sich dann so für diesen Artikel interessiert?«, fragte sie.
    »Vielleicht gerade weil er an diesem Tag in der Stadt war. Möglicherweise dachte er, das Opfer sei jemand gewesen, den er kannte oder dort getroffen hat.« Er wusste selbst, wie fadenscheinig diese Erklärung war. Andererseits: Michaelis war Journalist, kein Verbrecher. Weshalb sollte der Chef einer winzigen Lokalredaktion am Ende der Welt etwas mit einem Mord in Budapest zu tun haben? Das ergab keinen Sinn.
    Ninas Gedanken schienen sich in eine ganz andere Richtung zu bewegen. »Könnte es sein, dass er irgendwie in Sebastians Tod verwickelt ist?«
    »Unsinn.«
    »Vielleicht hat er erfahren, dass Sebastian ihm auf die Spur gekommen ist. Ebenso wie du hätte er diese Artikel finden können. Vielleicht hat er auch irgendein Telefongespräch aufgeschnappt.« Ihre Stimme klang jetzt atemlos, die Worte kamen gepresst.
    Nein, versuchte Carsten sich selbst zu beruhigen. Das kann nicht sein.
    Genau das sagte er ihr.
    Nina schüttelte energisch den Kopf. Sie war nahe daran, hysterisch zu werden. »Mein Gott, siehst du denn nicht, wie offensichtlich das alles ist? Michaelis fliegt nach Budapest, und dort wird ein Deutscher ermordet. Kurz darauf erkundigt er sich nach einem Artikel, in dem von eben diesem Toten die Rede ist. Er findet heraus, dass auch Sebastian sich dafür interessiert, und wenige Tage später wird auch der ermordet. Was muss denn als Nächstes passieren? Soll er einen von uns umbringen, ehe du die Wahrheit begreifst?«
    Was sie sagte, klang logisch, trotzdem wunderte er sich. Nina kannte Michaelis viel länger als er selbst, und er hatte bislang angenommen, dass sie ihn mochte.
    »Ich gehe nicht mehr in die Redaktion«, stellte sie entschlossen fest, als er die Antwort schuldig blieb.
    »Natürlich gehst du«, sagte er mit Nachdruck. »Genauso wie ich. Falls etwas an dieser verrückten Verschwörungstheorie wahr ist, dann dürfen wir uns nichts anmerken lassen. Wir müssen genauso weitermachen wie bisher.«
    »Und uns umbringen lassen?«
    »Sei nicht kindisch. Niemand lässt einen anderen einfach so ermorden.«
    »Bei Sebastian hat das niemanden gestört.«
    Er schüttelte den Kopf. »Lass uns abwarten. Und versuchen, mehr darüber herauszufinden. Schon um seiner willen.«
    »Das ist pathetischer Scheißdreck.«
    Wütend griff er nach ihrer Hand. »Es gibt einen Weg, wie wir erfahren können, ob etwas Wahres an der ganzen Sache ist.«
    In ihre Angst mischte sich jetzt eine Spur von Neugier. »Was meinst du?«
    Er erklärte es ihr.
    Die Maschine hätte bereits kurz vor dreiundzwanzig Uhr landen sollen, doch bereits wenige Minuten nach dem Start teilte der Kapitän ihnen mit, bedauerlicherweise werde sich die Ankunft in Frankfurt wegen Überlastung des Flughafens um etwa eine Stunde verzögern.
    Michaelis versuchte, sich seinen Ärger nicht anmerken zu lassen. Auch als die Stewardess zum dritten Mal mit Getränken kam und erklärte, es seien nur noch zwanzig Minuten bis zur Landung, behielt er sein festgefrorenes Lächeln auf den Lippen. Nach der Ankunft stieg er in ein Taxi und ließ sich zu der Adresse fahren, die von Heiden ihm am Nachmittag durchgegeben hatte. Sein einziges Gepäckstück war ein schmaler Aktenkoffer.
    Nawatzki und von Heiden erwarteten ihn in einem Kellerrestaurant mit niedriger Decke und hohen Preisen.
    Gleich nach der Begrüßung kam Nawatzki zum Grund ihrer Zusammenkunft. »Es hat ein Problem gegeben, und ich möchte wissen, weshalb.«
    Michaelis bemühte sich, seinem Blick standzuhalten. »Wir sind nicht sicher, wer Sebastian Korall getötet hat. Fest steht nur, wir waren es nicht.«
    »Wer dann?«, fragte von Heiden, obwohl alle sicher waren, es zu wissen.
    »Die anderen«, stellte Michaelis fest. »Fenn und seine Leute. Oder aber es war ein echter Raubüberfall, und unsere Sorge ist unbegründet.«
    Nawatzki schüttelte den Kopf. »Ein solcher Zufall wäre absurd.«
    »Sicher.«
    Von Heiden nickte

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