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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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versprach, man werde das Schweigenetz im Laufe des Jahres 1991 auflösen.«
    Nina zog die Augenbrauen zusammen. »Warum erst so spät?«
    »Das fragten sich viele, aber keiner bekam eine Antwort. Schließlich stellte niemand mehr die richtigen Fragen. 1991 verschwanden Gladio und das Schweigenetz wieder aus den Medien, über eine offizielle Auflösung wurde nicht mehr berichtet. Außer einigen Politikern weiß niemand, was mit den deutschen Einheiten geschah. Abgesehen von ihren Mitgliedern, natürlich.«
    »Was für Leute waren das?«
    »Zivilisten. Sie erhielten militärische Ränge, blieben aber nach außen hin gewöhnliche Durchschnittsbürger. Der Bundesnachrichtendienst steckte ziemlich tief in der ganzen Geschichte und wählte aus, wer dazugehörte und wer nicht. Ziemlich schnell kam der Verdacht auf, dass es unter anderem eine ganze Menge Rechtsradikaler ins Netz zog; zumindest aber Leute mit extremer nationalistischer Gesinnung. Die Verantwortlichen wiesen das zurück. Fest steht aber, dass es zuvor bereits einen ähnlichen Partisanentrupp gab, der vom Bund Deutscher Jugend unterhalten wurde, damals, in den fünfziger Jahren. Dem wiederum gehörten eine Menge ehemaliger Mitglieder der SS und Waffen-SS an. Von denen wechselten offenbar einige später zum Schweigenetz über.«
    Nina war verwirrt. »Meinst du, dass diese Leute etwas mit Sebastians Tod zu tun haben?«
    Carsten schüttelte entschieden den Kopf. »Nur weil er ein paar Artikel kopiert hat, die ohnehin jedermann zugänglich waren? Wohl kaum. Wusstest du, dass er sich mit dieser Sache beschäftigt hat?«
    »Nein.«
    Er seufzte. »Vielleicht ist das alles nur ein dummer Zufall. Gib mir noch mal die Texte, bitte.«
    Sie reichte sie ihm, und er begann erneut darin zu blättern. »Dabei sind auch noch ein paar andere«, sagte er und zog ein halbes Dutzend Seiten aus dem Stapel. »Artikel über ein paar Morde innerhalb der letzten Monate, verteilt auf die neuen Bundesländer.«
    »Davon hat er mir erzählt, glaube ich. Irgendwie kommt mir das bekannt vor.«
    Er überflog noch einmal die Überschriften der aussortierten Texte, dann gab er sie Nina. Sie las sie und nickte. »Ja, davon habe ich gehört.« Sie starrte weiter auf die Kopien. »Ein Mord in Potsdam, einer im Erzgebirge. Noch einer in Berlin. Zwei in Jena. Und was ist das hier?« Sie studierte eine winzige Meldung, die Sebastian einsam auf ein großes Blatt kopiert hatte. »Ein ermordeter Deutscher in Budapest«, stellte sie fest. »Irgendwoher kenne ich das alles – natürlich, der hier …«
    Carsten beugte sich neugierig vor. Unter den Texten befanden sich auch ein paar Computerausdrucke von Agenturtexten. Einen davon hielt Nina jetzt in der Hand. Eine Meldung der Deutschen Presse-Agentur vom 20. April. Das war sechs Tage her. »Den hat Michaelis mir am Dienstagmorgen gegeben«, erklärte sie. »Ich sollte für ihn rausfinden, wer das Ding geschrieben hat.«
    Carsten runzelte die Stirn, nahm den Text und las ihn durch. Er füllte engbedruckt die ganze Seite. Der Inhalt war nicht allzu faktenreich, spekulierte stattdessen unverblümt über einen Zusammenhang zwischen mehreren Morden seit Ende vergangenen Jahres. Mit einem Seitenblick vergewisserte er sich, dass es dieselben waren, die sich auch in Sebastians übrigen Unterlagen fanden. Auch der Tote in Budapest war dabei. Der DPA-Autor formulierte den Verdacht, dass es sich bei allen Opfern um ehemalige Mitglieder der Staatssicherheit handelte, ohne aber Beweise dafür zu bringen. Carsten wunderte sich, dass die Agentur einen so vagen Bericht an ihre Kunden weitergegeben hatte. Der Text war weder echte Reportage noch purer Kommentar. Im Grunde eine wenig gelungene Mischung aus beidem.
    »Warum wollte Michaelis wissen, wer das geschrieben hat?«, fragte er schließlich.
    »Hat er nicht gesagt. Ich sollte nur seinen Namen herausfinden.«
    »Und hast du den Kerl gefunden?«
    Nina nickte. »Kein Kerl, sondern eine Frau Simone Soundso. Ich hab den Nachnamen vergessen.«
    Plötzlich verfinsterte sich ihr Blick. Ihre Wangen wurden bleich. Als hätte jemand ihr in genau diesem Augenblick eine schreckliche Hiobsbotschaft überbracht.
    »Was ist los?«, fragte er.
    Nina wühlte in dem Papierhaufen und zog schließlich die Meldung über den Mord in Budapest hervor. »Großer Gott«, stöhnte sie.
    »Nun sag schon …«
    »Es kann Zufall sein, aber – das Datum.«
    Carsten beugte sich vor. Sebastian hatte den Tag der Veröffentlichung handschriftlich

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