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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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der Einzige, der sich auch in den anderen Teilen der Anlage herumtrieb. Er könnte diese Papiere irgendwo deponiert gehabt haben. Ich kann Ihnen nicht mit Sicherheit sagen, ob und wo er das getan hat. Wir können nicht das ganze Haus überwachen. Aber prinzipiell wäre es möglich. Nach Koralls Tod ging Worthmann einfach hin und holte sie sich. Wenn wir Pech haben, weiß er jetzt bereits mehr, als uns recht sein könnte. Je nach Inhalt und Menge dieser Unterlagen, versteht sich.«
    »Sie meinen also, Korall hatte Wind von der ganzen Sache bekommen?«
    »Das ist naheliegend. Er war nicht dumm. Er hat Augen und Ohren aufgemacht und einiges aufgeschnappt, Gespräche zwischen Ihnen und von Heiden. Wer weiß, vielleicht wusste er sogar über mein Spielzimmer hier oben Bescheid. Schließlich kannte er das Gebäude bereits, bevor wir hier eingezogen sind. Sein Tod ist nicht das Schlimmste, was uns passieren konnte. Früher oder später hätten wir wahrscheinlich selbst dafür sorgen müssen. Natürlich könnte jetzt Worthmann ein Problem werden. Er recherchiert in die falsche Richtung – in unsere.«
    Was Tafuri sagte, klang einleuchtend. Sie wussten nicht, was Worthmann tatsächlich erfahren hatte und wie nahe er der Wahrheit schon gekommen war. Er glaubte nicht, dass Worthmanns Wissen bereits eine Gefahr darstellte. Aber er mochte misstrauisch geworden sein, vor allem ihm selbst, Michaelis, gegenüber. Es wurde Zeit, dass sie etwas unternahmen.
    »Glauben Sie, dass er bereits eine Verbindung zwischen Koralls Unterlagen und dem Tod von Sandra Kirchhoff gezogen hat?«, fragte er.
    Tafuri dachte einen Augenblick nach, dann schüttelte er den Kopf. »Kann ich mir nicht vorstellen. So viel dürfte er noch nicht wissen.«
    Michaelis nickte. »Gut. Dann werden wir jetzt dafür sorgen, dass er mit einem Schlag wieder in die richtige Bahn gerät. Er soll nur Sandra Kirchhoffs Spur folgen und keiner anderen.« Er holte tief Luft und deutete auf das Telefon. »Geben Sie mir unsere Leute in Leipzig.«
    Die Scheinwerfer seines Wagens rissen den überdachten Eingang des Krankenhauses für einen kurzen Moment aus der Finsternis. Niklas lenkte den schwarzen BMW in einer engen Kurve um das runde Blumenbeet im Zentrum des Vorplatzes. Bei den Parkplätzen hatte er freie Wahl; seit Mitternacht war noch keine halbe Stunde vergangen. Die Parkfläche lag frei vor ihm wie ein asphaltiertes Fußballfeld, ihr hinterer Rand verschmolz nahtlos mit der Dunkelheit.
    Die Zeit war ungünstig für eine Entfernung. Tagsüber hätte er sich mit dem Besucherstrom unauffällig ins Gebäude schmuggeln können, kein Mensch hätte sich später an sein Gesicht erinnert. Bei Nacht war das anders. Der Pförtner würde ihn sehen, vielleicht gar einen Gruß erwarten. Dabei würden sie sich anschauen. Der Mann würde ihn später identifizieren können. Selbst Make-up und falsches Haarteil blieben bei guter Beleuchtung und aus nächster Nähe nutzlos. Im Gegenteil: Wahrscheinlich würde beides nur Aufsehen erregen.
    Er hatte den Auftrag ablehnen und auf morgen verschieben wollen, aber Michaelis hatte darauf bestanden und selbst ein Anruf bei Nawatzki hatte nichts daran ändern können. Sie verlangten, dass die Journalistin beseitigt wurde, so schnell wie möglich; und das war ihr gutes Recht. Nachdem sie es beim ersten Versuch verpatzt hatten, blieb ihnen gar keine andere Wahl. Am liebsten hätte er Rochus geschickt, um den von ihm angerichteten Schaden wiedergutzumachen, doch ein zweites Versagen konnte sich keiner von ihnen leisten.
    Letztlich, das musste er zugeben, hatte Rochus nur Pech gehabt. Niemand konnte vorhersehen, welche Bewegung ein Opfer im Augenblick vor dem Zusammenstoß machte und wo genau der Wagen den Körper treffen würde. Manche starben sofort, andere ein wenig später. Und einige überlebten.
    Ihr Fehler war letztlich die Wahl der Entfernungsart gewesen. Zwei Kugeln hätten ihr Problem sauber und termingerecht gelöst. Aber eine Hinrichtung durch Schusswaffen hätte ihren Tod unausweichlich in Verbindung zu den Morden gebracht, die sie selbst recherchierte. Deshalb musste es wie ein Unfall aussehen. Ein Zusammenprall mit anschließender Fahrerflucht. Meist eine verlässliche Sache. Sie steckte nicht tief genug in der Mordserie, als dass jemand Verdacht schöpfen würde.
    Die Entscheidung hatte er selbst getroffen, und einige würden sie als weiteren Eintrag in einer ganzen Liste von Unsicherheiten werten. Rochus, der den Tatwagen gefahren

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