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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Venen, Plastikschläuche pumpten farblose Flüssigkeit. Ein elektronisches Gerät tickte gleichmäßig im Rhythmus ihres Herzschlags.
    Ihre Augen waren die einzigen Punkte im Gesicht, die nicht mit Binden bedeckt waren. Zwei weitere Schläuche verschwanden dort zwischen den Verbänden, wo ihr Mund sein musste.
    Er dachte an Michaelis, der vielleicht für all das verantwortlich war. Der Gedanke erfüllte ihn zu gleichen Teilen mit Angst und Abscheu. Zu seinem eigenen Erstaunen erinnerte er sich wieder an ihren nächtlichen Ausflug in die Keller des alten Redaktionsgebäudes, daran, wie sympathisch er ihn damals gefunden hatte. Er spürte, wie vor Wut seine Wangen bebten.
    Jetzt, wo er Simone Gregor vor sich sah, wurde ihm bewusst, wie sinnlos sein Besuch hier im Krankenhaus war. Sie würde ihm nichts sagen können. Nicht darüber, wie sie auf die Stasi-Vergangenheit der Mordopfer gekommen war, nichts dazu, ob sie weitere Erkenntnisse gesammelt und detailliertere Recherchen angestellt hatte. Er fluchte still vor sich hin, strich mit der Hand über den bandagierten Kopf der Verletzten und trat wieder hinaus auf den Flur.
    Die Schwester war nirgends zu sehen. Wahrscheinlich hatte man sie längst zu einem anderen Fall abgerufen. Er fuhr mit dem Aufzug ins Erdgeschoss, ließ sich von dem Jungen an der Rezeption ein Taxi bestellen und erreichte eine halbe Stunde später seinen Wagen hinter dem Hauptbahnhof. Der Golf stand unverändert in der Dämmerung und wartete auf seinen Fahrer.
    Als er auf die Straße Richtung Autobahn abbog, kam ihm ein Gedanke. Er wendete bei der nächsten Gelegenheit und fuhr zurück ins Stadtzentrum.
    Nach zwanzig Minuten erreichte er die Seitenstraße, in der Sven Kirchhoff wohnte. Er parkte unten vorm Haus und klingelte. Als keine Antwort kam, stieg er die Treppen hinauf und klopfte an der Wohnungstür.
    Nichts. Kirchhoff war nicht zu Hause.
    Tafuri biss knirschend in ein Stück trockenes Knäckebrot. Michaelis fragte sich, wie der Italiener jemals zu seiner Statur gekommen war, wenn er stets nur dieses Zeug fraß. Der Anblick hatte fast etwas Komisches; Tafuri, dieser Klotz mit den Ausmaßen eines Kleinlasters, kaute zufrieden auf seinem Brot, blickte abwechselnd zwischen Michaelis und den Monitoren umher und wartete wohlerzogen mit dem Sprechen, bis er auch den letzten Bissen heruntergeschluckt hatte. Eines Tages würde ihn dieser Mann in den Wahnsinn treiben.
    »Worthmann ist in Leipzig«, erklärte der Italiener schließlich.
    »Gut«, freute sich Michaelis. »Er sucht weiter nach seiner Freundin. Mehr verlangen wir nicht.«
    Tafuri schüttelte den Kopf. »Falsch. Er ist nicht in die Stadt gefahren, um Sandra Kirchhoff zu finden. Er hatte einen anderen Grund.«
    Der Redaktionsleiter sah ihn fragend an und schwieg.
    »Er hat unsere Leute abgehängt«, fuhr Tafuri fort. »Bewusst. Sie wissen, was das heißt. Dass wir erfahren haben, wohin er gegangen ist, war purer Zufall. Wir hatten Glück.«
    »Wo war er?«
    »Im Krankenhaus. Bei dieser Journalistin.«
    »Was?« Michaelis lief dunkel an. »Wie ist das möglich?«
    »Die Journalistin ist allein Ihre Sache. Aus welchem Grund sie noch lebt und wie Worthmann an sie herangekommen ist, interessiert mich nicht. Ich habe hier mehr als genug zu tun, glauben Sie mir.«
    Michaelis ließ sich nicht beirren. »Wie kommt er an ihren Namen? Und weshalb, zum Teufel, interessiert er sich überhaupt für sie?«
    Krümel flogen in alle Richtungen, als Tafuri sein Raubtiergebiss erneut in das steinharte Brot grub. In dem winzigen Überwachungsraum schien das Bersten und Mahlen zwischen seinen Kiefern ohrenbetäubend. Wieder ließ er sich lange Zeit, ehe er antwortete: »Ich weiß es nicht.«
    »Sie wissen es nicht?«, tobte Michaelis. »Wer ist verantwortlich für seine Überwachung? Sie oder ich?«
    »Sie«, erwiderte Tafuri. Seine Stimme klang trocken wie sein Knäckebrot. »Zumindest gegenüber Nawatzki. Und so lange Sie Resultate sehen wollen, sollten Sie in meiner Gegenwart nicht herumbrüllen. Ich kann kein ganzes Gebäude abhören, wenn meine Ohren Schaden nehmen.«
    Michaelis verzichtete auf eine Erwiderung. Stattdessen fragte er: »Kann es etwas mit diesen Papieren zu tun haben, die er gestern Abend aus dem Haus geholt hat?«
    »Theoretisch, ja. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß. Möglicherweise stammten diese Unterlagen von einem der anderen Redakteure. Höchstwahrscheinlich von Korall.«
    »Aber er war nicht im Büro.«
    »Eben deshalb. Korall war

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