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Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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schaltete die Herdplatte an. »Aber auf dem Land lebe ich lieber.«
    »Das ist ein Standpunkt, den ich verstehe. Mein Standpunkt ist genau der umgekehrte.«
    Wir lachten. Das Wasser begann zu brodeln.
    »Können Sie von dort, wo Sie wohnen, nicht pendeln?«, fragte ich und stellte zwei Tassen auf den Tisch, Zucker und die Schokokekse, die ich beim letzten Einkaufsrausch im Mini-Supermarkt von Ohlkirchen mitgebracht hatte.
    »Eigentlich«, sagte Keller und beobachtete versonnen, wie der schwarze Kaffee in seine Tasse rann, »habe ich mir schon immer gewünscht, in der Großstadt zu leben. Meine Eltern wohnten auf dem Land. Ich war dort nie glücklich.«
    »Wer ist schon glücklich mit den Verhältnissen, in die er geboren ist.« Auch meine Tasse war jetzt voll. Ich musste mich neben ihn setzen. Es gab nur dieses Sofa und die Barhocker. Irgendwie wollte ich nicht zu nah an ihn heran. Ich schnappte mir ein Kissen, schob es mir unter den Hintern und hockte mich auf den Boden. Albern. Ich sah es an dem Glitzern in seinen Augen.
    »Woher stammen Sie, Frau Laverde?«, fragte Keller. »Der Name ist … ungewöhnlich.«
    »Alter ostpreußischer Adel.«
    »Wirklich?« Er lupfte die Brauen.
    »Doch. Die ganze Wahrheit. Mein Opa väterlicherseits stammte aus der Nähe von Nikolaiken im südlichen Ostpreußen, heute Polen. Das Landgut der Familie war nicht groß. Die Laverdes hatten kein Talent zum Wirtschaften und eine ziemlich undeutsche Einstellung zur Arbeit.« Ich las in Kellers Augen die Frage, inwieweit sich die Familienfaulheit bis zu mir vererbt hatte. »Meine Oma, die den alten Friedrich Laverde heiratete, war immer sehr stolz darauf, zum Landadel zu gehören. Sie war tüchtig und resolut. Was sie anpackte, wurde zu Gold. Nur leider war sie den Naziparolen erlegen.«
    »Da war sie sicher nicht die Einzige«, erwiderte Keller. »Darf ich eine rauchen?«
    »Perfekte Idee.« Ich grinste. »Dann kann ich auch.«
    »Versuchen Sie aufzuhören?«
    »Ich fange wieder an.«
    Er zog grinsend eine Schachtel Pueblo hervor und bot mir eine Zigarette an.
    »Wow, Tabak ohne Zusatzstoffe. Gesünder geht’s nicht.« Ich griff zu.
    »Und 1945?«, fragte er nach den ersten, tiefen Zügen.
    »Mein Opa hasste die Nazis. Er versuchte schon 1940, in die Schweiz auszuwandern, kriegte das aber nicht gebacken. Wenn er seine Frau die Ausreise hätte betreiben lassen, sie wären binnen Wochen in Zürich oder Lausanne gesessen. Aber er hat sie gar nicht gefragt. Der alte Fritz hat immer nur geträumt und sich alles ausgemalt, ohne je in die Puschen zu kommen.« Ich hatte das Rauchen lange nicht so genossen. »Jedenfalls sind meine Großeltern Ende 1944 aus Ostpreußen weggegangen. Mit meinem vierjährigen Papa. Offiziell hatten die Laverdes geschäftlich in Berlin zu tun. Später reisten sie nach München weiter, wo sie sich bei einer Schwester meiner Oma einnisteten, die dort verheiratet war. So ist mein Vater in München gelandet und hat den Namen Laverde nach Bayern gebracht.«
    »Sie sprechen keinen Dialekt.«
    »Man gehört nur dazu, wenn man so spricht wie die anderen, oder?« Meine Stimme hörte sich schärfer an als beabsichtigt. »Zuerst passt man nur den Akzent an, nachher auch den Inhalt.«
    Keller wiegte den Kopf. »Eine ungewöhnliche Familiengeschichte. Ostpreußen. Adel. Flucht. Neuanfang. In meiner Familie ist alles eine einzige, eintönige Linie. Da hat keiner etwas Neues ausprobiert. Lauter Langweiler.«
    Ich starrte auf das verklebte Fenster.
    »Meine Eltern stammen beide aus dem gleichen Nest im Ostallgäu«, sagte Keller. »Schöne Gegend, traumhaft, für Kinder das Paradies auf Erden. Aber ab spätestens 14 hat man ein Problem: Man will nur noch weg.«
    »Noch mehr Espresso? Oder einen Rotwein?«
    »Ich muss noch fahren. Höchstens einen kleinen Schluck.«
    Ich holte zwei Gläser und eine Flasche von dem französischen Landwein, den Freunde aus Aix-en-Provence mitgebracht hatten, irgendwann im vergangenen Sommer. Den Chianti von vorhin würde ich alleine austrinken, jetzt sollte es etwas Besonderes sein. Die Kiste stand im Chaoszimmer, und der Wein war noch zu kalt, um ihn zu genießen. Ich schob ihn unter meinen Pullover.
    »Clevere Dekantiermethode«, bemerkte Keller.
    Irgendwo im Haus knackte es. Ich fuhr herum.
    »Nach einem Einbruch fühlen sich die meisten Menschen sehr unsicher«, tröstete der Kommissar, und es klang zum Glück mitfühlend, nicht herablassend.
    »Ich will allein leben«, sagte ich mit Nachdruck.

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