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Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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die Hausarbeit auf sie und Jenny abzuwälzen. Er klappt den Mülleimer zu. Alles dauert so viel länger, wenn er es tut. Mit nur einer Hand. Er ist wütend auf die Leute mit zwei Händen, zwei Beinen, und besonders auf die, die sagen können, was mit ihnen los ist. Er hofft immer noch auf Besserung. Dass er wieder richtige Sätze bilden kann. Er weiß, was ein Satz ist, aber er kriegt keinen zustande. Früher war er gesellig und hatte viel Spaß damit, Freunde einzuladen und über Gott und die Welt zu diskutieren. Seit dem Schlaganfall hat er sich abgekapselt. Er erträgt zu viel Gesellschaft nicht. Er wird schnell unkonzentriert, vergisst, was gesagt wurde. Während er zuhört, kann er sich nicht auf das konzentrieren, was er selbst sagen will. Wenn viele durcheinander reden, verliert er den Überblick.
    Andy nimmt den Lappen, wringt ihn aus und wischt den Tisch ab. Sein Körper reagiert mit Mattigkeit und Schlaflosigkeit auf seine deprimierenden Lebensumstände. Bislang hat ihm niemand sagen können, ob seine Sprache zurückkehren wird. Die Ärzte wagen keine Prognosen, und die Sprachtherapeutin versucht ihm klarzumachen, dass nichts unmöglich ist. »Toyota«, sagt Andy laut und lacht. Die Leidensgenossen in der Selbsthilfegruppe bewundern ihn für seine Beharrlichkeit, mit der er sich zurück ins Leben kämpft. Das Laufen hat sich wirklich verbessert. Aber er will sprechen. Er will sprechen, um Gina zurückzugewinnen. Will mit ihr singen, Blödsinn machen und spitzfindige Reden schwingen. So wie früher. Er hat immer gedacht, sie beide hätten eine stabile Beziehung. Aber nun hat er den Eindruck, ihre Gemeinsamkeiten wären nur Fassade. Er sieht, dass Gina an seiner Krankheit zerbricht, doch er kann sie nicht trösten. Nicht mit Worten, und wenn er sie nachts berührt, weist sie ihn ab. Ihr Körper wird steif, sie dreht sich weg und murmelt etwas, das er nicht versteht. Er schleudert den Lappen ins Spülbecken. Wenn Kea Laverde bei ihm ist, fühlt er sich wie ausgewechselt. Obwohl sie naturgemäß meistens selber redet, hat er den Eindruck, ein wirkliches Gespräch zu führen.
    Er hört den Wagen vorfahren. Gina kommt. Er verfolgt jeden Schritt von ihr, von der Auffahrt bis zu den Stufen an der Eingangstür. Rasch macht er ihr die Tür auf.
    »Ach, hallo Andy!«
    Sie sagt es in einem Ton, der ihm die Luft abschnürt. Er will sie küssen und beugt sich zu ihr hinunter, aber sie entwindet sich und geht in die Küche.
    »Habt ihr schon gegessen?«
    Er möchte erwidern, was denkst du denn, sollen wir jeden Abend bis in die Puppen mit dem Essen warten? Aber er kann es nicht sagen und starrt vor sich hin.
    »Hat Jenny gekocht?« In dieser Frage schwingt der Vorwurf, dass er zu viele häusliche Pflichten auf Jenny abwälzt. Gina ist eifersüchtig, weil er und Jenny soviel Zeit gemeinsam verbringen und gelernt haben, sich mit wenigen Worten zu verstehen. Seine Frau spürt, dass sie in die zweite Reihe abwandert. Gina hat ihren Humor, ihren sprühenden Witz verloren. Andy kann ihre Erschöpfung nachvollziehen. Sie muss alles allein tragen, die finanzielle Verantwortung, muss das Familienleben organisieren, für alle entscheiden und planen. Er würde sich gerne beteiligen, aber die Sprachlosigkeit steht zwischen ihnen, eine Kluft, die sich von Woche zu Woche verbreitert.
    »Nein«, sagt er. »Manda … Mandana … Mandara …«
    »Ihr habt Mandarinen gegessen?«, rät Gina. Andy weiß, dass sie es hasst, immer für ihn mitzuformulieren.
    »Schal.«
    »Schmecken die schal?«
    »Schal …«
    Er will ›Schale‹ sagen, will ihr begreiflich machen, dass Jenny die Mandarinen für ihn geschält hat, will erklären, dass ihm das Angst macht, weil es Abhängigkeit bedeutet. Es macht ihn wahnsinnig, wenn Gina seine Gedanken nicht enträtselt. Zornig stampft Andy mit dem Fuß auf.
    »Verflucht, Andy«, sagt Gina sehr leise. »Ich bin vollkommen k. o. Ich hatte einen verteufelten Tag, stand nur im Stau, bin von Termin zu Termin gehetzt. Ich bin müde. Ich kann jetzt keine Ratespiele mehr spielen.«
    Sein Leben ist kein Spiel. Andy reißt sich zusammen, er braucht übermenschliche Kraft dafür, aber es gelingt, er schreit nicht los. Er verabscheut sich selbst, wenn er losschreit. Manchmal geht es nicht anders. Heute hat er sich in der Gewalt. Er beobachtet Gina, wie sie ihren Mantel über einen Stuhl wirft und hinausgeht. Der Mantel rutscht zu Boden. Andy holt aus und versetzt dem Tweedhaufen einen Tritt. Noch einen. Und noch

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