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Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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Hobby.«
    »Sie interessieren sich für Kunst«, stellte Keller fest. »Ich habe ›Zwei Wetterhexen‹ von Hans Baldung Grien in Ihrem Schlafzimmer gesehen.«
    Das Bild zeigte zwei runde, nackte Frauen unter einer brodelnden Wolkenfront, denen die Cellulitis nicht aufs Gemüt geschlagen hatte. Diesem Mann entging wirklich nichts.
    »Sie auch, oder?«
    »Ich habe wenig Zeit, um mich intensiv damit zu beschäftigen. Aber man braucht doch auch etwas Schönes.«
    Wenn man Polizist war und immer nur den Irrsinn präsentiert kriegte, Blut, fliegende Steine und miese Zettel mit Drohungen drauf, mochte man wohl ein natürliches Bedürfnis nach Schönheit empfinden.
    »Wie haben Sie zu Ihrem Beruf gefunden?«, erkundigte ich mich.
    »Ach, es war die Faszination, die das Böse ausstrahlt. In so einem Dörfchen besteht das Leben aus Tabus. Dennoch wuchern Kräfte. Skandale. Kleinkriege. Damit kam ich nicht zurecht. Ich wollte hinter die Kulissen sehen. Stieß schon als Jugendlicher auf Paranoia und Angst. Wenn man behütet aufwächst, glaubt man ja, dass alles so weitergeht, dass alles sich fügt, weil es im Letzten zusammengehört und ein großes, wunderbares Ganzes bildet.« Er trank sein Glas leer. Ich schenkte nach. Er lehnte nicht ab. »Aber ich habe schnell gelernt, dass das Leben aus Bruchstücken besteht, die nicht zusammenpassen.«
    Ich goss auch mir nach.
    »Ein Freigeist wie Sie hat nichts zu lachen, oder?«
    »Nein.« Er zog eine ironische Grimasse. »Weder im Dorf noch bei der Polizei.«
    »Fluchtinstinkt?«
    Er sagte nichts dazu, also verfiel auch ich in Schweigen. Das war mir noch nie passiert, mit einem Mann in die Nacht hineinzufallen, den Wein im Glas kreisen zu lassen, ganz ohne Hintergedanken. Selbst mit dem größten Aufgebot an Fantasie konnte ich mir nicht vorstellen, mit dem KHK ins Bett zu gehen. Er kam von einem anderen Stern. Ein Außerirdischer, der auf unserem Planeten verlorengegangen war und nun sehen musste, wie er klarkam. Ein Mann, der eher ein Dichter sein könnte oder ein Philosoph auf einem Berg. Der französische Chansons hörte, sein Weinglas schwenkte und existenzialistische Verse in ein Notizbüchlein schrieb.
    »Die Kunst macht die Welt still«, sagte Keller zu einem Zeitpunkt, als ich schon meinte, wir wären durch ein Loch im Raum-Zeit-Kontinuum gestürzt. »Insofern ähnelt sie frisch gefallenem Schnee. Diese zarten Schneeflocken … Plötzlich sind die Menschen glücklich wie Kinder. Sie freuen sich, einfach da zu sein. Man erlebt das normalerweise nicht.«
    »Nicht in Mitteleuropa«, sagte ich.
    »Wohin sollte man reisen, um Lebensfreude zu erleben, Frau Laverde?«, fragte er, ohne eine Antwort zu erwarten. »Wo ich auch hinschaue, überall sind die Leute damit beschäftigt, sich abzuplacken. Alle jagen irgendwelchen Dingen hinterher, die sie zu benötigen meinen, Geld, Anerkennung, Karriere. Bonuspunkte zum Vorzeigen. Die Freude am Dasein ist ihnen abhanden gekommen.«
    Vermutlich sprach er über sich. Und auch über mich, irgendwie. Ich murmelte Zustimmung.
    »Kea«, sagte Keller versonnen. »Was ist das eigentlich für ein Name?«
    »Eine friesische Kurzform zu Alkea. Dieses ist ein Ableger von Adelheid.«
    »Na, da haben Sie aber Glück gehabt.« Er blinzelte und brachte mich damit zum Lächeln. »Würden Sie es als sehr indiskret ansehen, wenn ich Sie frage, warum Sie eine schwere Zeit hinter sich haben?«
    Ich ließ mir die Frage durch den Kopf gehen. Sie war nicht nur indiskret, sie bedrängte mich körperlich. Vor allem wusste ich nicht, weshalb er sie stellte. Warum wollte dieser Mann mit dem italienischen Bart so viel über mich erfahren? Ich hatte gelernt, selber den Ton in Gesprächen vorzugeben und mir nichts entlocken zu lassen, was ich nicht freiwillig gab. Manchmal war Reden intimer als Sex.
    »Trinken wir die Flasche aus«, sagte ich. »Ich biete Ihnen mein Küchensofa an. Einen polargeprüften Schlafsack habe ich.«

14.
    Ich bin Abfall, denkt Andy Steinfelder, während er die Reste des Abendessens wegräumt und die Mandarinenschalen in den Mülleimer wirft. Jenny ist wieder hinter ihrem Rechner verschwunden, er fragt sich, wie ein so junges Mädchen sich stundenlang mit all dem Computerquatsch beschäftigen kann. Sie hat ihm die Mandarinen geschält. Er kann es nicht mit einer Hand. Es frustriert ihn, dass seine Tochter ihm Obst schälen muss. Eine finstere Vision hüllt ihn ein, wie er in einem Rollstuhl sitzt und Jenny ihn füttert. Gina wirft ihm oft vor,

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