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Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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hielt still, obwohl mir das gar nicht behagte. Ich bin kein Kleinkind, das man am Kinn packt und zwingt, zu den Erwachsenen hochzuschauen, Herr Kommissar!
    »Das waren nur ein paar Glassplitter«, sagte Nero. Seine Stimme war so nah, dass ich zusammenfuhr. »Nicht schlimm, keine Panik. Haben Sie was zum Desinfizieren da?«
    Ich führte ihn ins Bad. Dabei mussten wir durch mein Schlafzimmer durch, aber das war weniger intim als der Moment, als wir beide vor meinem Waschbecken standen und unsere Spiegelbilder unschlüssig betrachteten. Tatsächlich hatte ich ein paar winzige Schnitte in der rechten Wange. Ich wühlte im Verbandszeug und verwünschte meine zitternden Finger. Auf keinen Fall ließ ich zu, dass er mir die Wunden abtupfte. Das Jod war uralt, die Flasche klebrig, aber besser als nichts. Ganz indianerlike wischte ich mit dem getränkten Wattebausch über meine Wange. Warum zum Teufel musste der KHK mir dabei zusehen? Durfte ich keine Privatsphäre haben, um mir die Nase zu pudern? Konnte er nicht rausgehen, Kaffee kochen, sich umgucken und den Steinewerfer suchen, irgendwas anderes tun, als hier zu stehen und mich anzustarren? Ich konnte nicht mal grinsen, das Jod brannte wie Chili.
    »Das muss reichen«, sagte ich. »Wunden heilen ohne Pflaster viel besser.«
    »Ich sehe mich draußen um.«
    »Ich komme mit.«
    »Ist mir recht.«
    Jetzt konnte ich nicht mehr zurück, und ich war froh darum. Selbst beim Offiziersskat mit Juliane verlor ich äußerst ungern, und noch weniger, wenn mir jemand mein Revier streitig machte. Ich zwang meine nassen Socken in die Stiefel, zog den Anorak an. Kellers Anwesenheit bedrückte mich plötzlich. Als wäre ich in eine unerwartete Abhängigkeit geraten. Ich hätte statt Keller Juliane anrufen sollen, sie besaß ein altes Jagdgewehr aus den Beständen ihres Vaters.
    »Bleiben Sie dicht hinter mir«, raunte Keller.
    Wäre ich nicht draufgekommen. Wir gingen die Auffahrt hinauf. Meine Grauen eilten aufgeregt an den Zaun ihres Geheges.
    »Haben Ihre Gänse Sie nicht gewarnt?«
    »Ich werde sie von nun an ohne Zaun quer über das Grundstück rennen lassen. Damit sie sich auf alles stürzen, was des Weges kommt.«
    »Die beißen?«
    »Logisch«, gab ich zurück und ignorierte seinen ironischen Blick. Wir umrundeten den Freilauf. Loo und Litz beruhigten sich und watschelten in ihren Stall.
    Alles war still. Nur der Wind zeterte in den Bäumen oben am Hang. Ich erzählte von den drei Autos, die ich gehört hatte. Von meinem Eindruck, der Steinewerfer sei zurückgekommen. In Begleitung des KHK kam mir meine Angst unwirklich vor. Seltsamerweise fühlte ich mich hier draußen sicherer als im Haus. Dort saß ich wie in einer Falle. Wie am 23. Juli vor zwei Jahren. Diese Sache wurde nie Vergangenheit. Die Panik loderte von einem Moment zum anderen auf. Nicht daran denken, Kea! Schon machte sich Schmerz in meinem Bein breit, und ein anderes Gefühl kam hoch, nebulös, unklar, verwirrend. Ich räusperte mich, um mich in die Wirklichkeit zurückzuholen. Es ist vorbei, dachte ich und meinte beides: die Sache damals und den Angriff heute.
    Wir standen vor meiner Haustür.
    »Bieten Sie mir noch einen Kaffee an?« Keller fror in seinem Sakko.
    »Sicher. Was geschieht jetzt?«
    »Ich leite die Bürokratie in die Wege«, sagte Nero. »Allerdings wird sich ein Kollege damit befassen. Ihre Gegend liegt nicht mehr in meinem Zuständigkeitsbereich.«
    Ich sah ihn fragend an.
    »Ich stecke sozusagen zwischen zwei Jobs.«
    Die Küche hatte sich ein wenig aufgewärmt. Ich schraubte die Espressokanne auf, unter größter Mühe, aber Keller sollte keine Chance kriegen, schon wieder Kavalier zu spielen.
    »Warum?«, fragte ich.
    »Ich habe neue Aufgaben bekommen.« Er lächelte unbeholfen und ich sah ihm an, dass er noch nicht wusste, ob er darüber glücklich sein sollte.
    »Was für welche?« Ich gab Kaffeepulver in den Filter.
    Keller sank auf das Sofa. Er sah völlig erschöpft aus. Wahrscheinlich Schlafmangel. Der KHK wirkte nicht wie einer, der sich schonte. Er antwortete nicht. Womöglich hatten sie ihn in eine Geheimabteilung abkommandiert.
    »Nach Pullach?«, fragte ich.
    Er lächelte. »Nein, ich bin zum LKA gewechselt. Und demnächst ziehe ich nach München. Ich habe eine sehr schöne Wohnung aufgetan.« Er holte einen Schlüsselbund aus der Hosentasche und wog ihn in der Hand, als müsste er sich vergewissern, dass es diese Wohnung wirklich gab.
    »München ist schon in Ordnung«, sagte ich und

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