Schweigfeinstill
»Und ich will hier draußen leben. Ich hatte eine schwere Zeit in den letzten zweieinhalb Jahren. Das Haus habe ich gekauft, um mein eigenes, kleines Zuhause zu haben.« Ich biss mir auf die Lippen und ging den Korkenzieher holen. Keller hatte so eine Art, auf die Fortsetzung der Geschichte zu warten, dass mein Mund von selbst loslegte. Obwohl mein Kopf Einspruch erhob.
»Ich habe viele Jahre als Reisejournalistin gearbeitet. Für große Magazine wie Geo . Ich war immer unterwegs, in aller Herren Länder, und es war toll, aber …« Dass ich vor der Reiserei meine Erfahrungen im investigativen Journalismus gemacht hatte, musste ich Keller ja nicht auf die Nase binden. Ich weiß, wie man zum Herzen eines Rätsels vorstößt. Jede Geschichte ist ein Rätsel. Ich will damit sagen: Ich weiß, wie man ermittelt.
Ich zog die Flasche hervor, drehte die Spirale in den Korken. Verschüttete ein kleines bisschen Wein auf den Boden, aber das war nicht der Rede wert. Betont ruhig goss ich Kellers Glas voll. »Ich habe in Ressorts in Nepal gewohnt, mit atemberaubender Sicht auf die höchsten Gipfel der Welt. In Sikkim in Indien hat das Knattern der tibetischen Gebetsflaggen mir die verrücktesten Träume gebracht. Ich habe Lateinamerika und Afrika durchkämmt, bin allein über die Panamericana gefahren, nur mit einem Notizbuch und einer Digitalkamera auf dem Beifahrersitz. In Uganda bin ich halbe Nächte mit einem Ranger durch das Gelände gestreift, um Berggorillas zu beobachten. Ich habe Sachen unternommen, von denen die meisten Leute nur träumen. Wenn ich von meinen Reisen erzähle, kann mein Publikum ein paar Nächte lang vor Neid kaum schlafen.«
»Keine Panik. Ich bin so müde, ich schlafe ein, sobald ich mich aufs Bett gesetzt habe.«
Ich hob mein Glas. »Irgendwann war es genug. Ich hasste die Flugzeuge, das Warten am Flughafen, die Kontrollen, das Chaos, die Zeitverschiebung, die Müdigkeit.« Die Einsamkeit, fügte ich im Stillen hinzu, die Fremdheit. Vor allem die Fremdheit. Und die Angst. »Ich wollte mal irgendwo ankommen. Wurzeln schlagen und bleiben.« Eine Parzelle haben, wo ich mich sicher fühlte. Aber seit Sonntag war es mit der Sicherheit so eine Sache.
»Deshalb sind Sie Ghostwriterin geworden?«
Ich zuckte die Achseln. Er wollte mich nur aushorchen, um etwas über meinen Auftraggeber zu erfahren, aber den Gefallen tat ich ihm nicht. Gerade Andy, über den alle redeten, anstatt mit ihm zu reden, brauchte besonderen Schutz. Ich trank meinen Wein.
»Sind Sie sich bewusst, dass Sie möglicherweise jemanden in Gefahr bringen?« Er wies mit dem Kinn auf die Stelle, wo der Stein aufgeprallt war und eine Fliese nun einen Sprung hatte. »Sie sollen einen Auftrag zurückgeben. Ich werde nicht in Sie dringen, aber Sie sollten sich überlegen, ob es Ihrem Kunden guttut, wenn Sie die Warnung ignorieren.«
Das machte er sehr clever, der KHK. Menschenkenntnis hatte er. Wenn er mich unter Druck setzen, den Moralisten spielen würde, fiele es mir leicht, einfach dicht zu machen. Aber Freiheit lassen, an das Verantwortungsgefühl appellieren – das war klug im Umgang mit einer Laverde. Er sah mich an, nicht besonders eindringlich, nicht streng oder investigativ, eher beiläufig. Der Wein irisierte auf seinem Gesicht.
»Was macht eigentlich ein LKA?«, fragte ich, obwohl es mich nicht besonders interessierte. Ich hatte schon zu viel rausgelassen. Am Ende redete ich noch über die letzte, dramatische Reise nach Ägypten, aber das wollte ich nicht. Diese Reise war meine private Hölle. Ich wollte ihr Tor nicht aufstoßen, indem ich davon erzählte.
»So allerlei. Straftaten von besonderer Gefährlichkeit werden dort geklärt, Geschichten, die mit Kernenergie, Sprengstoffen zu tun haben, Handel mit Betäubungsmitteln, Wertpapierfälschung und so weiter. Es sind nicht nur klassische Kriminalbeamte dort beschäftigt, sondern auch Naturwissenschaftler, Linguisten, Informatiker …«
»Und Sie?«
»Ich beschäftige mich mit Internetkriminalität.« Er lächelte. »Reicht das?«
»O. k.«
Wir betrachteten interessiert den Wein in unseren Gläsern.
»Guter Wein. Auch von einer Reise mitgebracht?«
»Ein Geschenk von Freunden aus Südfrankreich«, antwortete ich.
»Matisse.«
»Bitte?«
»Ich wollte immer mal auf den Spuren von Matisse an die Côte d’Azur reisen.«
»Da gibt es viele Spuren«, sagte ich. »Picasso, Renoir, Chagall, Cocteau.«
»Auch einer Ihrer Artikel?«
»Nein. Eher Freude.
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