Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
Vom Netzwerk:
durchbrochen, gab es kein Zurück mehr. Man hatte sich bewiesen, dass genug Substanz da war, um durchzuhalten. Also würde es laufen mit Andys Lebensgeschichte. Ich kippte das Fenster. Unerwartet milde Luft strömte herein. Tauwetter.
    Es war spät, nach zehn. Müdigkeit kroch durch meinen Körper. Nur der Kopf war noch frisch, aufgeputscht vom Schreiben. Der erste Schluck Wein tat mir gut. Wie es in Südfrankreich jetzt wohl aussah … bestimmt nicht sehr viel wärmer als hier in meiner Talnische. Der sonnige, zarte Geschmack strich mir über die Zunge wie eine Verheißung. Wenn ich Andys Projekt fertig hatte, könnte ich dann verreisen? Nur eine Woche? Sonne, schlafen, lesen, essen, schwimmen? Ich sah ein türkises Meer vor mir und eine Küstenlinie, so weiß wie eine Spur Koks auf einem Spiegel.
    Mein Handy spielte Mozart. Jetzt noch? Vielleicht Juliane? Das Klingeln erstarb, noch bevor ich das Gerät in der Hand hielt.
    »Schnarchnase!« Ich wandte mich meinem Wein zu und dachte über das verklebte Fenster und die Unzuverlässigkeit von Handwerkern nach, als das Eingangssignal für Kurzmitteilungen loslegte. Erschrocken blickte ich mich in der Küche um. Irgendwie schlich sich in mein Gehirn der Impuls, dass jemand in meinem Baustellenzimmer lauerte und von dort die SMS geschickt hatte.
    Ich griff nach dem Telefon und drückte die grüne Taste. ›Sie haben eine Nachricht erhalten.‹ Unendlich langsam baute sich ein Bildchen auf dem Sichtfeld auf. Ein Foto. Das sich zu bewegen begann.
    Ich sah eine Graugans und zwei schwarze Handschuhe, die sie am Hals festhielten. Das Tier schlug wie wild mit den Flügeln vor Panik. Langsam drehten die Handschuhhände den Hals der Gans zu. Sie wehrte sich mit aller Kraft, aber das Flügelschlagen ließ nach, und schließlich hing das Tier leblos im Griff seines Mörders. Die Hände blieben noch einen Augenblick im Bild. Auf dem Display erschien ›Ende der neu eingegangenen Nachricht‹.
    Ich sah auf. Kälte flutete meinen Körper. Die Wände hatten 1.000 Augen. Da war er wieder, der Dschinn aus den Heizungsrohren. Mit bebenden Händen legte ich das Handy weg und lauschte. Draußen war es still wie unter Wasser. Ich ging ins Arbeitszimmer, löschte das Licht über dem Schreibtisch und trat ans Fenster. Der schmelzende Schnee glänzte matt im Schein der Außenlampe. Ich sah mein Auto vor dem Schuppen stehen, konnte die Kratzer auf der Tür in der Dunkelheit aber nicht erkennen.
    War das eine meiner Gänse? Unwillkürlich griff ich mir an den Hals. Anziehen. Rausgehen. Los, schau nach, Kea!
    Ich war kein ängstlicher Typ. Auch nach der Geschichte damals auf dem Sinai hatte ich mir noch ausreichend Mumm in den zermalmten Knochen bewahrt. Also nicht nachdenken, sondern rausgehen. Ich löschte die Außenbeleuchtung und starrte ein paar Sekunden durch das Fensterchen neben der Tür in die Nacht hinaus. Zog mir die Jacke über und schlüpfte in meine Stiefel. Meine beiden Grauen hätten sich gewehrt, geschnattert, Lärm gemacht, den Angreifer gemeldet. Gänsemörder. Mörder. Das Echo der Worte machte meinen Kopf taub.
    Ich hielt mein Handy wie einen Talisman in der Faust, in der anderen die Taschenlampe, als ich die Haustür aufstieß und hinter mir zuzog. Jeder Schritt durch den sulzigen Schnee fiel mir schwer. Mein Instinkt befahl mir, zurückzulaufen, in den Schutz des Hauses, und jemanden anzurufen, Carlo, Janne, vielleicht sogar Keller. Oder ins Auto zu springen und abzuhauen. Nach Ohlkirchen, ins Piranha. Unter Leute eben. Ich keuchte auf, als Schnee von der Dachrinne fiel und klatschend vor meinen Stiefeln aufkam. Der Stall rückte ins Blickfeld. Schweiß tränkte meine Sachen unter der Jacke. Ich schwitzte und fror gleichzeitig. Der Lichtkegel meiner Taschenlampe tastete über den Boden und fing sich an der Stalltür.
    »Waterloo?«, rief ich. Wollte ich rufen. Aber meine Stimme schien in rasselnden Folterketten gefangen, und alles, was sich aus meiner Kehle herausquälte, war ein mattes Krächzen. Irgendwo knirschte etwas. Eine Tür, ein Fuß auf dem Schnee, ein Tier? Verflucht, ich war oft draußen auf meinem Grundstück, auch nachts. Ich blieb stehen. Konnte nicht vor, nicht zurück. Starrte auf die Stalltür und das schwarze Etwas, das da lag.
    Meine Gänse sind grau, redete ich mir zu. Nicht schwarz. Was immer da liegt, ist keine tote Gans. Als ich herankam, sah ich meinen Schal im Schnee. Ich musste ihn vorhin verloren haben, hatte ihn noch gar nicht vermisst. Ich hob

Weitere Kostenlose Bücher