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Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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das nasse, wollene Etwas auf und warf es mir über die Schulter.
    »Waterloo?«, flüsterte ich. »Austerlitz?«
    Ich weiß nicht, ob die Grauen ihre Namen kannten. Sie identifizierten meine Stimme als die ihrer Bezugsperson, die sich kümmerte, Nahrung und frische Einstreu heranschleppte und nachts die Stalltür schloss. Immerhin hatte man uns schon als Kinder mit der allgegenwärtigen Kriminalität vertraut gemacht: Fuchs, du hast die Gans gestohlen. Man schloss also besser den Gänsestall in der Nacht. Ich schob regelmäßig den Riegel vor. Das mochte bei Füchsen wirken, aber nicht bei Wahnsinnigen, die Gänse meuchelten.
    Leises Schnattern klang zu mir heraus. Das Schnattern von zwei Gänsen. Ich sah mich um. Welche Gans auf dieser Welt hatte dran glauben müssen? Und was bezweckte der Idiot, der mir das Snuff geschickt hatte? Ein ziemlicher Aufwand, einer Gans den Hals umzudrehen, nur um ein Snuffvideo zu simsen, dachte ich.
    Als ich die Stalltür öffnete, watschelten Loo und Litz schlaftrunken auf mich zu. »Wollte nur nach dem Rechten sehen«, sagte ich leise und strich ihnen übers Gefieder. Sie waren zutraulich wie Kätzchen. Als ich jedoch einmal den Stall ausgeleuchtet und mich überzeugt hatte, dass alles in Ordnung war, schienen sie auch nicht böse, dass ich mich wieder in mein eigenes Leben zurückzog. Ich schloss die Stalltür. Ich musste einen Riegel und ein Vorhängeschloss besorgen. Die Ausbesserungsarbeiten an einem Eigenheim hörten nie auf.
    Ich stapfte zum Haus zurück. Die nackte Panik war aus meinen Gliedern gewichen, aber mein Herz hämmerte, als ich vor der Haustür meine Stiefel abstreifte und den Schlüssel ins Schloss steckte. Vielleicht verbarg sich jemand in der Dunkelheit, um sich an meiner Angst zu weiden. Das ist nur der Dschinn, dachte ich, der mich beobachtet. In Ägypten hatten mir eine Menge Leute Geschichten über diese Dämonen erzählt, die aus rauchlosem Feuer erschaffen wurden. Ausschweifende Erzählungen aus Tausend und einer Nacht waren das, und doch faszinierend, wenn man erst einmal begriffen hatte, wie sie funktionierten. Ihre Aussagen waren anders zu destillieren als die europäischer Anekdoten. Damals hatte es mich beruhigt, dass es gute und böse Dschinns gab. Jetzt war ich mir nicht mehr sicher, ob jener, der in meiner Nähe herumturnte, mit den Guten oder Bösen paktierte.
    Ich schloss die Haustür hinter mir und drehte den Schlüssel zweimal um. Mir war so kalt, dass ich zitterte. Dschinns sind scheu, dachte ich. Sie zeigten sich einem Menschen nur, wenn dieser sie beschwor, doch selbst dann nicht immer. Soweit ich mich an die Story einer Krankenschwester erinnerte, bereitete die Beschwörung dem Dschinn heftige Schmerzen. Die Kerle hatten deswegen keine große Lust, von Menschen herbeizitiert zu werden, sodass sie mit Boshaftigkeiten konterten, statt zu kooperieren, und Wünsche vereitelten, statt sie zu erfüllen.
    Ich stellte die Taschenlampe auf das Barbrett. Ich war Mitteleuropäerin. Zwar hatte ich den Orient geliebt, aber dieser Teil meines Lebens war abgeschlossen. Der erste Schluck Wein geriet mir in den falschen Hals. Im Heizkörper knackte es so laut, dass ich mich verschluckte und keuchend den Wein in die Spüle spuckte. Dann klingelte es an der Haustür.
    Ich hatte keinen Wagen gehört. Mit einem Mal konnte ich mich nicht mehr auf meine Sinne verlassen. Ich löschte das Licht.
    ›Drrrring‹.
    Ich tappte im Dunkeln zur Tür und spähte hinaus. Mein Herz machte einen Sprung. Irgendetwas zwischen Schreck und Erleichterung. Kommissar Keller stand vor der Tür, in Jeans und Pulli.
    Ich riss die Tür auf.
    »’N Abend, Herr Kommissar.«
    Ich klang wohl weniger jovial, als ich es beabsichtigt hatte, denn er besah mich mit seinen Torfaugen und fragte: »Ist etwas nicht in Ordnung?«
    »Kommen Sie rein.« Er folgte mir in die Küche, wo ich ein paar Tasten auf meinem Handy betätigte. »Hier.«
    Mit finsterem Gesicht sah Nero den Film an.
    »Schöne Scheiße«, sagte er schließlich. »Wann kam das?« Er klickte herum und gab sich selbst die Antwort. »22.32 Uhr.«
    »Well, yes.« Ich überlegte, ob ich Keller von dem Dschinn erzählen sollte. Ganz beiläufig war mir plötzlich klar, dass es sie gab, und dass einer von ihnen mir vom Sinai bis hierher gefolgt war. Bestimmt war es ein männlicher Dämon. Vielleicht wollte der was von mir. »Meine Gänse sind wohlauf. Ich war gerade nachsehen.«
    »Sie waren«, er zeigte mit dem Daumen auf das Fenster, »da

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