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Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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zurück. Sie sehen einander an. Die Harmonie ist verpufft. Gina ergreift ein Handtuch und hält es sich vor die Brust, während der Mann das Zimmer verlässt.
    Andy sitzt da, der Film ist längst zuende. Er schaut auf ein Standbild und merkt es nicht. Jenny, ich muss mit Jenny sprechen. Sie stellt einen Film mit ihrer Mutter und deren Geliebten ins Internet. Das geht nicht, Jenny.
    Aber die Worte werden nicht kommen. Sie stecken im Geburtskanal zwischen Hirn und Mund fest. Verflucht, er hasst diese Welt, dieses Eingesperrtsein in seinem eigenen Gehirn. Mit zitternder linker Hand bedient er die Maus, klickt sich aus allen Programmen und schaltet den Rechner aus. Löscht das Licht und zieht sogar die Jalousien wieder hoch, damit Jenny nicht merkt, dass er in ihrem Zimmer war.
    Schließlich geht er hinaus. Ins Wohnzimmer, wo er die Terrassentür öffnet und die Winterluft atmet, in der Feuchtigkeit hängt und eine gewisse Milde. Kriegen wir Föhn?, denkt Andy und geht ein paar Schritte. Der Schnee ist sulzig. Er will schreien und sich im Matsch wälzen und brüllen und schlagen, er will alle Bäume fällen und mit der größten aller Motorsägen die Hecke zerstören, das Haus anzünden, die Trümmer qualmen sehen. Da waren noch mehr Filme. Vorhin hat er nicht mehr daran gedacht, aber da waren noch andere, er ist sich sicher.
    Mit nassen Schuhen schlurft Andy zurück ins Haus. Bald ist es zehn. Er kann nicht anders und geht zurück in Jennys Zimmer, wo er den Rechner anschaltet und ungeduldig wartet, bis er ins Netz kommt. Nun klickt er die anderen Bildchen an. Mein Gott. Im Zimmer ist es dunkel, nur der Bildschirm streut diffuses Licht. Andy kann das nicht glauben. Es ist nicht wahr. Diese Filme sind anders als der mit Gina und dem Kerl in der Hauptrolle. Hier sind jüngere Frauen am Werk. Sie strippen. Befriedigen sich. Sie werden … Andy hält den Atem an. Sie werden vergewaltigt.
    Im Laufe seiner Krankheit hat Andy ein Gefühl für die Sprache der Bilder entwickelt. Er schaut sich viele Filme an, weil es mit dem Lesen nicht klappt, aber er beobachtet auch schärfer und beachtet mehr als früher die Mimik und die Körpersprache der Menschen. Diese Filme stammen nicht von Jenny. Sie sprechen eine andere Sprache. Jennys Film von Gina und dem Mannsbild zeigt einen Ausschnitt aus dem authentischen Leben. Langatmig, eigentlich uninteressant, wenn man nicht gerade der Ehemann der Darstellerin ist. Aber dies hier … Verzweifelt stützt Andy den Kopf in die gesunde Hand. Jenny muss diese Pornos aus dem Netz heruntergeladen und gemeinsam mit ihrem Film in einem Ordner gespeichert haben. Warum, denkt Andy, fährt den Rechner endgültig herunter und sieht nervös auf die Uhr. Warum. Was hat Ginas Massage mit diesen Widerwärtigkeiten zu tun?
    »Warum?« Er schleudert das Wort in den Raum wie einen Brocken Lava. Nach dem Schlaganfall hat er monatelang nur ›ja‹ und ›nein‹ sagen können. Sehr bald dann ›Scheiße‹. Und ›warum‹. Immer wieder hat er den Ärzten sein Entsetzen in die hoffnungslosen Gesichter geschrieen. Warumwarumwarum. Worauf niemand zu antworten imstande war. Andy steht mühsam auf. Er schwankt und muss sich an Jennys Schreibtisch festhalten. Das rechte Bein macht Ärger, als sei es genauso aus dem Takt geraten wie der Mensch, zu dem es gehört.
    Andy tappt über den Flur. Im Wohnzimmer steht die Terrassentür noch offen, es ist eiskalt. Kea. Kea muss kommen, er muss ihr das alles zeigen. Es ist spät, aber sie wird noch wach sein. Hat sie nicht mal erzählt, dass sie spät zu Bett geht? Andy greift nach dem Telefon und bedient die Kurzwahl. Schließt die Terrassentür und lehnt die Stirn gegen das kalte Glas.

34.
    Ich streckte mein Kreuz und ruderte mit den Armen, um meine verkrampften Muskeln zu lockern. Der Computer verwandelte mich nach wenigen Stunden Arbeit in eine Chimäre aus Mensch und Geier. Die Finger waren zu Krallen verkrümmt, der Kopf rutschte immer weiter nach vorne, die Schultern rundeten sich, bis sie höher lagen als der Schädel …
    »Klappe, Kea«, sagte ich leise zu mir selbst und ging in die Küche, um mich für die intensive Schreiberei mit einem Glas Wein zu belohnen. Ich hatte 100 Seiten. Genauer gesagt 107. Die ersten 100 Seiten, ungefähr 140.000 Zeichen beziehungsweise 24.000 Wörter, bedeuteten einen Meilenstein in der Arbeit an einem Buch. Bis zur hundertsten Seite konnte jedes Projekt noch in sich zusammenbrechen. Aber mit 100 Seiten war die Schallmauer

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