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Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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Frau hieß tatsächlich Marlies. Ich hielt besser den Mund.
    »Stressige Frauen heißen meistens Elisabeth, Gertrud oder Marlies.« Keller stand auf und kam zu mir an den Herd. Kramte aus der richtigen Schublade einen Löffel und rührte die Soße um, wobei er angeregt schnupperte. »Aaaaja. Riecht ansprechend.«
    »Na, Sie kennen sich ja aus!«
    »Mit Dosenfutter schon.«
    Ich legte ab, was ich in Händen hielt und wandte mich ihm zu. »Ich weiß gern, ob jemand ein Witzchen reißt, den Zyniker spielt oder nur nett sein will.«
    Er sah richtig betreten aus. »Verzeihung«, sagte er steif. »Wirklich – ich wollte nur nett sein.« Er legte den Löffel weg und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.
    Was sollte ich jetzt tun? Zum Glück begann das Nudelwasser zu sieden, sodass ich eine Beschäftigung fand.
    »Wenn Sie schon so agil in der Küche sind, links oben finden Sie Teller.«
    Keller deckte das Barbrett. »Was wissen Sie über Herrn Schöll?«
    Ich leerte die Packung Spaghetti in das brodelnde Wasser. Seine Art, ›Herr Schöll‹ zu sagen, ging mir auf den Keks. »Was weiß man schon über Leute, die man ein halbes Jahr kennt?«
    »Sie beobachten scharf, und Neugier auf Menschliches ist Ihre Begabung und Profession.«
    Ich lehnte mich an das Büffet und verschränkte die Arme. »Sie zum Beispiel, Herr Kommissar, sind alleinstehend. Einsam. Sie verbringen lieber den Abend bei einer durchgeknallten Geflügelhalterin, als sich im Piranha zu amüsieren. Oder in Schwabing um die Häuser zu streifen, wo sie bald hinziehen. Sie freuen sich auf Ihren neuen Job. Aber den alten können Sie noch nicht loslassen, weil Sie einen guten Draht zu Ihrem bisherigen Kollegen haben. Der hat, was Sie gern hätten: Er ist locker, entspannt, ein Genussmensch, und liebt die Musik.«
    »Stopp.« Er hob die Hand. Kaum merklich tauchte eine Falte zwischen seinen Augenbrauen auf. »Musik ist auch meine Leidenschaft.«
    »Ach?«
    »Tango.«
    Ich musste ihn sehr verdutzt angesehen haben, denn er lachte. Richtig herzlich diesmal.
    »Nicht tanzen. Nur hören.«
    Ich rührte in meinem Spaghettitopf. »Sorry, wenn ich Ihnen zu nahe getreten bin«, brachte ich heraus.
    »Nein. Gar nicht. Sie haben ins Schwarze getroffen. Meine Frau ist vor zwei Jahren gestorben. Wir hatten ein Haus. Keine Kinder.«
    »Das tut mir leid.«
    »Ja. Danke. Also … haben Sie so was wie Servietten?«
    Der Mann war am Durchknallen. Er erzählte vom Tod seiner Frau, woraufhin seine einzige Sorge darin bestand, sich die Bolognesesoße von den Lippen tupfen zu können. Ich griff in eine Schublade und warf ihm ein Päckchen Papierservietten zu.
    »Oj. Es weihnachtet sehr«, kommentierte er und drappierte die Nikolausgesichter auf unseren Tellern. »Also, wie gut kennen Sie Karl Schöll?«
    »Er ist schwul. Haben Sie sicher bemerkt. Lebt in Seelbach. Hat ein sehr geschmackvoll eingerichtetes Haus. Liebt Italien und lernt seit Jahr und Tag Italienisch, ohne wirklich voranzukommen.«
    »Da haben wir etwas gemeinsam.«
    »Ach. Sie auch?«
    »Absolut italophil.«
    Ich grinste. »Wie gut, dass ich Ihnen kein Schweinekotelett mit Kartoffelbrei angeboten habe.« Ich goss die Spaghetti ab. Während Keller Pasta und Soße auf unsere Teller verteilte und ich den Parmesan rieb, redete ich weiter. »Seine Mutter ist Eritreerin. Sie lebt in London. Carlo hat Restaurantfachmann gelernt, in Berlin, Paris und Luxemburg. Guten Appetit.«
    Ich hatte wirklich Hunger. Die Soße duftete, der Käse schmolz formschön auf den heißen Nudeln.
    »Lecker«, sagte Keller. »Wirklich. Eine gute Soße. Wie hält es ein Mensch wie Schöll in einem Kaff wie Ohlkirchen aus? Wenn er in Paris seinen Beruf lernte, was treibt ihn dazu, in einem Lokal wie dem Piranha zu arbeiten?« Ich hörte ihm an, dass er statt ›Lokal‹ lieber ›Kaschemme‹ gesagt hätte. »Wenn er aus der Großstadt stammt und in den Metropolen Europas seine Ausbildung machte, warum lebt er in einem bayerischen Dorf? Sie wissen sicher, dass er in Hamburg geboren wurde.«
    »Vielleicht aus dem gleichen Grund wie ich. Um irgendwo anzukommen und Wurzeln zu schlagen. Um Ruhe zu finden und bei jedem Blick aus dem Fenster zu spüren, dass es da draußen noch etwas anderes gibt als Hektik, Müll und Smog. Es ist nicht jeder so wie Sie und sehnt sich nach der Großstadt.«
    Ich hatte schon zu viel gesagt. Keller sah mich mit funkelnden Augen an. Was wollte der Mann über mich herausfinden? Er wanzte sich an, lud sich zum Essen ein und

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