Schwein gehabt
lag im fünften Stock. Der Aufzug funktionierte reibungslos, und so stand ich wenig später in einem Großraumbüro, das jegliche Bestimmungen der EU-Richtlinien zur Massentierhaltung verletzte. Rund hundert Leute waren auf knapp fünfzig Quadratmetern zusammengepfercht. Schreibtisch an Schreibtisch. Diese bedauernswerten Kreaturen aßen mit Sicherheit keine Eier aus Legebatterien, denn wer verspeiste schon die eigenen Kinder?
Da es auf Redaktionsschluss zuging, herrschte hektische Betriebsamkeit. Entweder hackten sie auf ihre Computertastaturen ein, als wollten sie sie zerstören, oder sie wuselten aufgeregt durch die schmalen Gänge wie Rinder vor der Schlachtung.
Ich fragte mich zur Anzeigenberaterin für gewerbliche Kleinanzeigen durch. Laut Namensschild hieß sie Cordula Funke und laut Gesichtsausdruck war sie freundlich. Ihre Kulleraugen wurden durch dicke, pink umrandete Brillengläser noch betont. Ihr Schreibtisch sah aus, als ob sie in der Redaktion leben würde. Neben diversen Zettelhaufen standen ein halb leerer Teller mit Spaghetti, zwei Packungen Kartoffelchips und eine Dose Cola light. Ich hegte so meine Zweifel, dass die Diätvariante des Erfrischungsgetränks in dieser Kombination große Chancen hatte, ihre Wirkung zu entfalten. Fotos ihrer Liebsten gaben dem halben Quadratmeter einen Hauch Individualität: die Kelly Family und Daniel Küblböck grinsten verstrahlt in die Kamera.
»Guten Tag, ich möchte eine Anzeige aufgeben .«
»Wo wohnen Sie und wie wollen Sie die Anzeige bezahlen ?« , fragte sie mit piepsiger Stimme.
Ich entschied mich für Barzahlung.
»Kleinanzeige oder Topbusinessformat im Hauptteil?«
Mal sehen, was ich für mein Geld bekomme.
»Wie viel kostet Topbusiness ?«
»Wir haben da ein Sonderangebot. Sie sind Neukunde, nicht wahr? Wollen Sie die Anzeige von einem unserer Grafiker gestalten lassen? Dann erhalten Sie Einführungs-, Neukunden- und den Saisonalrabatt sowie bei Barzahlung noch Skonto .« Sie tippte wild irgendwelche Zahlen in ihren Taschenrechner und strahlte mich dann an.
»Für eine Viertelseite wären wir dann bei unvergleichlich günstigen sechstausendzweihundertfünfzig Euro .«
Das Thema hatte sich erledigt.
»Ich habe es mir überlegt. Kleine regelmäßig geschaltete Anzeigen erscheinen mir erfolgversprechender. Wo liegt da der Preis ?« Die Enttäuschung war ihr deutlich anzusehen. Entweder erhielt sie eine üppige Verkaufsprovision oder sie arbeitete für einen Hungerlohn und wertete jedes ausgeschlagene Angebot als persönliche Niederlage. Ich tippte auf Letzteres.
»Denken Sie an die Möglichkeiten für Ihr Geschäft. Werbung ist der Antriebsmotor der Wirtschaft .«
»Den Kleinanzeigenpreis bitte«, gab ich den Kurzangebundenen.
Diesmal bemühte sie nicht den Taschenrechner. Achtzig Euro; ohne irgendwelche Rabatte oder Sammelpunkte, die ich gegen Bälle, Handtaschen oder Jogginganzüge eintauschen konnte. Dennoch erteilte ich dem Angebot den Zuschlag.
»Wie lautet der Text ?« Sie klang immer noch beleidigt.
Ich überlegte kurz. »Privatdetektiv führt Ermittlungen jeder Art durch. Schnell, unkompliziert, diskret: Dieter Nannen. Kastanienweg 45, 48249 Buldern, Tel.: 0177- 7 87 39 45. «
Langsam lenkte Cordula ihre Augen vom Bildschirm auf mich. Voller Bewunderung blickte sie mich an und nahm einen Schluck Cola. Sie stieß leicht auf, was der Szene eine erotische Note verlieh.
»Sie sind ein echter Detektiv? So wie Magnum oder Kojak?«
»Kojak ist Bulle. Magnum passt da schon besser .«
Frau Funke schüttelte ungläubig den Kopf.
»Was Sie alles wissen .« Plötzlich jedoch verfinsterte sich ihre Miene. »Aber Sie gehören doch wohl nicht zu denen, die in der schmutzigen Wäsche anderer Leute wühlen? Das finde ich ekelhaft .«
Ich hatte noch nicht mit der Arbeit angefangen und schon durfte ich mich rechtfertigen.
»Ein Arzt würde auch lieber nur gesunde Menschen sehen. Aber der Beruf zwingt einen manchmal zu Maßnahmen, die man als Privatperson nicht gutheißen würde .«
»Zum Beispiel?«
Sie ging mir auf die Nerven. Was wusste denn ich?
»Darüber kann ich nicht sprechen«, sagte ich knapp. »Mandantenschutz. Bitte geben Sie mir eine Quittung .«
Ich steckte den Zettel ein und ergriff die Flucht, bevor Funkenmariechen auf die Idee kam, ihren majestätischen Hintern vom Stuhl hochzuhieven und nachzuschauen, ob ich wie Rockford eine Waffe trug.
Danach machte ich mich auf, zum letzten Mal an diesem Tag die Deutsche Bahn zu
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