Schwein gehabt
Tritte in den Magen gaben mir den Rest. Ich würgte, bis sich die Mousse au chocolat vermischt mit dem gestrigen Abendessen auf den Linoleumboden der Polizeistation ergoss. Das störte Reichert mehr als das aus meiner Nase rinnende Blut.
»Sieh dir die Sauerei an .«
Weitere Tritte folgten.
»Polizei, Polizei !« , krächzte es vom Flur her. »Mein Waldi ist verschwunden .« Die Stimme kam immer näher, und schon schob eine grauhaarige Alte jenseits der achtzig ihren Kopf durch die Tür.
Meine Rettung!
»Was ist denn hier los ?« , flüsterte die Lady überrascht.
Reichert humpelte auf sie zu, drängte sie nach draußen und sagte: »Armer Kerl. Ist in einer Unterführung beraubt und zusammengeschlagen worden .«
Anschließend hatte ich erst einmal Zeit, mich etwas zu erholen, denn das ungleiche Paar blieb etwa eine Viertelstunde verschwunden.
»Jetzt gibt es einen Zeugen«, stöhnte ich, als Reichert allein zurückkehrte.
»Passen Sie auf, Nannen. Wenn ich’s mir recht überlege, ist Ihr Alibi in Ordnung. Sie vergessen unsere Unterhaltung, ich den Einbruch .«
Das hörte sich schon viel besser an. Soweit ich dazu in der Lage war, murmelte ich etwas, das wie »in Ordnung« klang. Dabei wollte ich es bewenden lassen, denn zum einen konnte es nicht schaden, etwas gegen diesen Schnauzbart in der Hand zu haben, zum anderen hätte eine Anzeige meine Schmerzen auch nicht gelindert.
»Sie können gehen .«
»Ich möchte nach Hause gebracht werden, Herr >Ich-schlage-unbescholtene-Bürger-zusammen<«, presste ich zwischen den Zähnen hervor.
»Sie können mich am... nun gut, ich bringe Sie zurück .«
Hinkefuß schnappte sich den Schlüssel für die Bullenschaukel und gebot mir, ihm zu folgen. Halb ging ich, halb kroch ich aus der Wache. Bei der Rückfahrt gab ich mir keine Mühe, das Blut nicht auf die Polster tropfen zu lassen. Nach mindestens zwanzig Stunden erreichten wir das Nannen’sche Anwesen. Mit letzter Kraft gelang es mir, einigermaßen würdevoll auszusteigen und die Beifahrertür zuzuknallen. Der Weg bis zum Schlafzimmer kam mir wie hundert Kilometer vor. Voll bekleidet ließ ich mich ins Bett fallen. Im Augenblick stank mir die Detektivspielerei gewaltig.
25
N ach zwei Stunden wachte ich auf und fühlte mich etwas besser. Ich schlurfte ins Badezimmer und warf einen Blick in den Spiegel. Zum Glück sah ich nicht halb so schlimm aus, wie mir zumute war. Die Nase hatte aufgehört zu bluten. Die einzigen sichtbaren Verletzungen Waren ein geplatztes Äderchen an der Wange und ein kleiner Riss auf der Stirn. Ich wischte das getrocknete Blut aus dem Gesicht und betastete den Rest des Körpers. Gelegentlich musste ich die Zähne zusammenbeißen, aber gebrochen war nichts. Wahrscheinlich gehörte das spurenfreie Verprügeln von Verdächtigen zum Stundenplan der Polizeiakademien. Mir Pflaster verarztete ich die Wunden.
Jetzt konnte die Durchsicht der Akten nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden. Ich holte sie aus dem Versteck, setzte mich in den Sessel und versuchte die Kopfschmerzen zu ignorieren.
Barbaras Akte enthüllte auf den ersten Blick keine Neuigkeiten. An die Rekonstruktion des Tathergangs, die sich in nichts von den Zeitungsberichten unterschied, schloss sich das Protokoll einer Befragung Zollners an, das aber auch keine neuen Erkenntnisse lieferte. Auf der letzten Seite des Berichts fand ich die lakonische Feststellung »Die Ermittlungen dauern an«.
Das war wesentlich weniger, als ich erwartet hatte. Auch in Koflers Fall konnte die Polizei weder Verdächtige noch ein mögliches Tatmotiv vorweisen. Doch halt! In einem Nebensatz wurde ein Zettel mit der Aufschrift »Die Sklaven sollen dienen (Al.II.58)« erwähnt. Ich blätterte weiter und erfuhr, dass man den Papierfetzen neben Koflers Leiche gefunden hatte. Das Zitat wurde als Teil des Thelemitischen Manifests von Aleister Crowley identifiziert. Man könne daraus ein Interesse des Opfers an okkultem Schrifttum ableiten.
Ich lehnte mich zurück und ordnete meine Gedanken. Soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich in Koflers Zimmer kein esoterisches Buch gesehen. Auch der Fundort der Notiz stimmte mich nachdenklich. Wie war der Zettel neben die Leiche gelangt?
Es gab mehrere Möglichkeiten: Entweder hatte Kofler das Papierstück in der Hand gehalten oder es war in seiner Hosen- beziehungsweise Jackentasche verstaut gewesen. Als der Killer dann mit dem Messer hantierte, fiel der Wisch auf den Boden. Oder der Zettel stammte vom
Weitere Kostenlose Bücher