Schweine zuechten in Nazareth
irgendwo glückliche Geschichten.
Vielleicht wird mir das Leben zum Dank selbst eine bereiten?
Was meinst du?
Dein Sohn, David
Harry Rosenmerck an Monique Duchêne
Nazareth, 1. Juni 2009
Liebe Monique,
den Fotos nach zu urteilen, die mir Annabelle gezeigt hat, kann deine Kleidung ohne weitere Skrupel zu Grabe getragen werden, denke ich.
Was deinen Vater betrifft, so war er Alkoholiker und zerstreut. Es wäre heikel für deine Mutter geworden, alle naselang erzählen zu müssen: »Entschuldigen Sie bitte meinen Mann, er ist Alkoholiker.« Es war besser, zerstreut zu sagen. Sie hatte einen gesunden Menschenverstand.
Annabelle ist recht einzelgängerisch für ein Mädchen ihres Alters. Sie hockt zu Hause und liest, stundenlang. Was sind unsere Kinder doch für seltsame Typen! David kenne ich wirklich nicht mehr. Aber im Kopf habe ich ein klares Bild von ihm. Während Annabelle â manchmal erkenne ich das Kind von früher wieder und in anderen Augenblicken entgleitet sie mir. Ich tue weiterhin so, als sei ich ein vorbildlicher und zuverlässiger Vater. In Wirklichkeit glauben unsere Kinder immer noch, wir könnten sie vor dem Leben beschützen, für immer.
Die Schwachheit meines Vaters habe ich erst begriffen, als ich selbst Vater wurde. Ich tue, was ich kann. Ich fange an, mich oft alt zu fühlen. Immer öfter.
Harry
Annabelle Rosenmerck an Pastor Andrew Black
Nazareth, 2. Juni 2009
Andrew,
es ist ein Abschiedsbrief. Abschied von mir selbst. Ein Brief über meine Illusionen und die Trauer, sie verloren zu haben. Du hast meine Jugend gestohlen und ich habe dir gezeigt, dass du alt bist, während ich doch dein Versuch war, vor dem Alter zu fliehen.
Gott sei Dank hast du deine Frau nicht verlassen. Ich werde nicht mit Schuld beladen deinen Arsch trocken legen müssen, in einem weiÃen Haus in Florida, wo du wie alle neureichen Amerikaner deine Tage wirst beenden wollen.
Du glaubst ein Feingeist zu sein. Du bist belesen und du weiÃt, wie man den richtigen Wein aussucht. Es kam schon vor, dass du verkorkte Flaschen getrunken hast, ohne es zu merken. Ich fand deinen Wortschwall über Weinfarbe, Körper und Frucht, die du in Gegenwart des Sommeliers vorbrachtest, um die junge Französin zu beeindrucken, rührend. Ja, du kannst gut nachplappern, aber selber fühlst du nichts. Du verstehst ohne zu begreifen. Es ist wie bei der Literatur, du lehrst sie, aber es kommt nur Sekundärliteratur in versnobter Aufmachung dabei heraus. Du erklärst Liebesromane! Du gibst Hinweise, um den Schmerz zu verstehen. Gott! Wie kannst du es wagen? Was verstehst du schon von Liebe?
Du wärst in der Lage, einige wenige Passagen bei Roth zu begreifen, in denen sich die junge Studentin mit dem ewigen alten Professor einlässt. Oder ist es nicht eher die Studentin, die ewig ist? Vom Rest der Literatur verstehst du nicht das Geringste, glaube mir. Mein Vater, der Kardiologe ist, durchschaut die Herzen besser als du. Schnitzler zum Beispiel war Arzt bevor er Schriftsteller wurde, er hat das Stethoskop wieder neu erfunden. Durch Abhören der Herzen wird man zum Schriftsteller. Es tut mir leid, aber deine Fahrkarte verliert auÃerhalb dieser Zone ihre Gültigkeit.
Annabelle
Harry Rosenmerck an Rabbi Moshe Cattan
Nazareth, 2. Juni 2009
Lieber Moshe,
ich werde versuchen, übermorgen zu dir zu kommen. Wir müssen reden, ich brauche deine Hilfe. Heute Morgen sind etwa zwanzig Männer gekommen und haben meine Anlagen verwüstet. Juden, Moslems und Christen. Sie haben ihren gemeinsamen Feind gefunden. Sie wollen, dass ich von hier verschwinde. Die Juden wollen keine Schweine im Heiligen Land und sagen, dass es nicht die Schweine sind, die den Terrorismus erledigen werden. Die Araber waren ganz ihrer Meinung. Sie haben gemeinsam argumentiert. Man weià schon nicht, wer geschickter argumentiert, wenn sie streiten, aber wenn sie gemeinsame Sache machen, ist es gar nicht mehr auszuhalten. Hätte ich nicht um mein Leben gefürchtet, hätte ich bestimmt gelacht. Und die Christen, also, das ist die Höhe! Stell dir vor, einer der Priester von Nazareth glaubt, dass ich auf den Ãberresten des Wohnhauses von Jesus Christus von Nazareth lebe und dass ich mein Haus der Kirche und der Nachwelt überlassen müsse. Sie schrien: »Dieser Ort gehört der Geschichte!«
Sie haben mich aufgefordert zu gehen. Der Priester, ein gewisser
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