Schweineblut
Richtung Flur.
Etwas in Schiffers Blick alarmierte Frank. Er sprang auf und folgte
Schiffer.
»Was ist los?« Frank hatte eine Ahnung.
»Viola hat das Krankenhaus verlassen. Sie war gerade auf der
Leitstelle und hat wissen wollen, wo ihr seid. Und wo van Bommel untergebracht
ist. Und sie hat nach dem Kollegen gefragt, der den Schlüssel für die Waffenkammer
hat.«
»Um Gottes willen. Wo ist sie jetzt?«
»Sie ist weg. Wir haben sie nicht zurückhalten können.«
»Mist.«
»Alles in Ordnung. Sie hat keine Waffe bekommen, sie würde mit einer
Pistole ohnehin keinen Schritt in die JVA tun können.«
Schiffer kannte Violas Geschichte natürlich.
»Sie kann sich überall eine Waffe besorgen. Und sie kann van Bommel
auch ohne Waffe angreifen. Wir müssen in der JVA anrufen. Ich habe geahnt, dass
es so weit kommen würde. Ich hoffe nur, dass Viola jetzt nicht ausrastet. Wie
konnte sie ihr Zimmer verlassen, ohne aufgehalten zu werden?«
»Soweit ich erfahren habe, hat der Kollege mit den Schwestern im
Stationszimmer Kaffee getrunken. Man hatte ihn zum Weihnachtskaffeeklatsch
eingeladen. Er hat doch nicht ahnen können, dass sich Viola selbstständig
macht.«
»Was für eine Scheiße!«
Die Tür schwang auf, und Melanie Mestroms Kopf erschien. »Kann ich
jetzt gehen? Ich möchte nach Hause. Ich bin müde.«
»Sie bleiben.«
Clemens Boshoven hatte seinen Wagen sorgfältig abgeschlossen
und war das kurze Stück vom Landtag zum Rhein hinuntergegangen. Dort hatte er
eine Weile gestanden und den Schiffen zugesehen, die mit ihrer Ladung tief im
Wasser liegend an ihm vorbeigezogen waren. Schließlich hatte er den
Mantelkragen hochgeschlagen und war dem Weg in Richtung Medienhafen gefolgt.
Der Nebel hatte sich wie Watte um die Lichthöfe gelegt, die die
Laternen auf das Pflaster warfen. Im Jachthafen reflektierten die schlanken
Bootskörper das diffuse Licht, das sich bis auf die tief im Hafenbecken
liegenden Stege verirrt hatte.
Boshoven fühlte sich als Teil dieser Watte, die sich mit der
Atemluft mischte und feucht auf sein Haar und seinen Mantel legte.
Auf der einen Seite grenzte das schwarze Wasser an den Weg zu den
Werbeagenturen, Filmfirmen und Designerbüros. Zur Linken lag das WDR-Funkhaus
wie ein breiter blau gestrichener Schubleichter auf dem Trockendock. In einigen
Büros brannte noch Licht. Hinter dem Gebäude hatten sich mehrere asymmetrisch
geformte Bürotürme zu einer lockeren Gruppe aus Putz-, Backstein- und
Aluminiumfassaden versammelt.
Boshoven hatte die Fußgängerbrücke erreicht, die das Hafenbecken
überspannte und beide Ufer in einer schwungvoll hingeworfenen Linie miteinander
verband. Gegenüber lag das Ensemble aus alter Industriearchitektur und Moderne
weitgehend im Dunkeln.
Dieser Platz ist genauso gut wie jeder andere, dachte er. Die Kälte
sickerte langsam durch den Mantelstoff. Der Laborbesitzer befühlte die klaren
Konturen der Waffe, die er eingesteckt hatte. Er begann vor Kälte und Angst zu
zittern.
—
»Wo willst du hin?« Ecki stützte sich am Armaturenbrett
ab, um in der scharf genommenen Kurve nicht gegen Frank zu kippen.
»Wir müssen sie finden.« Frank starrte durch die beschlagene
Windschutzscheibe und bog vom Gelände der alten Polizeikaserne Richtung
Stadtmitte ab.
»Das bringt doch nichts, einfach loszufahren. Lass uns nachdenken.
Frank, pass auf, du bringst uns noch um.« Ecki fluchte.
»Kannst ja wieder aussteigen.«
Eckis Handy schrillte. Mühsam versuchte er, das Gleichgewicht zu
behalten.
»Eckers. Was gibt’s?«
Das Gespräch war nur kurz.
»Das war Schiffer. Wir haben ein echtes Problem.«
»Sag schon.«
»Viola hat doch eine Waffe.«
»Was? Was?« Frank überholte einen Kleinwagen, der mit Tempo 50 Richtung Bismarckplatz
unterwegs war.
»Melanie Müller vermisst ihre Dienstwaffe. Sie war gerade erst von einer
Einsatzfahrt zurück und hatte ihre Pistole nur kurz auf dem Schreibtisch in der
PI abgelegt. Viola war zur gleichen Zeit auf der Wache. Nun ist die Waffe weg.«
»Auch das noch.«
»Sie kommt doch damit nie in die JVA. Jedenfalls wissen sie dort
Bescheid.«
»Hoffentlich.«
»Frank!« Ecki hatte intuitiv die Bremse treten wollen. Frank wäre
fast auf einen Linienbus der NVV aufgefahren.
»Stell dich nicht so an. Wir müssen uns beeilen.«
Über die hell erleuchtete Innenstadt hatte sich dichter Nebel
gelegt, den die Straßenbeleuchtung zu einem gelblichen Schleier verdichtete.
Auf der Hohenzollernstraße war davon kaum mehr etwas
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