Schweinehunde / Roman
irgendetwas ereignen würde. Doch gerade in diesem Moment, als er das Fernglas ein letztes Mal auf die Bäume richtete, fiel ein Seil aus den Bäumen, über denen eben noch die Vögel gekreist hatten, gleich darauf folgte ein Stiefel.
Konrad Simonsen galt bei seinen Kollegen als jemand, der in Situationen, in denen schnell gehandelt werden musste, vernünftig reagierte, und so war es auch dieses Mal. Zuerst dachte er zehn Sekunden gründlich nach, ohne sich vom Fleck zu rühren, dann zog er eine Karte aus seiner Tasche und prägte sich den Bereich hinter dem Schloss bis hinunter zum Fjord und zum angrenzenden Wald noch einmal ein. Es machte keinen Sinn, einfach in den Schlosspark zu stürmen. Er würde viel zu lange brauchen und kaum eine Chance haben, den Mann noch zu schnappen.
Kletterer
war mit Sicherheit schneller als er, und noch dazu befand er sich in seinem Reich. Seine Chancen waren deutlich größer, wenn er mit dem Auto auf die Rückseite des Parks fuhr und ihn auf einem der Waldwege zu stellen versuchte. Er stopfte seine Sachen in die Tasche und hastete zu seinem Auto.
Sobald er auf der Landstraße war und freie Sicht hatte, gab er Gas, und schon nach wenigen Minuten raste er auf der schnurgeraden Straße, die den Wald in einen östlichen und einen westlichen Teil trennte, durch die Fichtenschonung. Etwa in der Mitte des Waldes stellte er den Wagen gut getarnt in einem Seitenweg ab und ging zu Fuß weiter. Ohne Eile ging er leise auf die nächste Weggabelung zu. Laut der Karte führte der nach rechts abzweigende Weg zur Rückseite des Schlosses. Simonsen hatte ausgerechnet, dass sich
Kletterer,
wenn er nicht gerannt war, mit großer Wahrscheinlichkeit noch in diesem Waldabschnitt befand. Und eigentlich hatte er keine Veranlassung zur Eile.
Rechts und links des Weges wuchsen meterhohe Fichten, so dass man sich, wollte man sich verstecken, nur ein paar Meter ins Dickicht schlagen musste. Immer wieder blieb er stehen und lauschte, hörte aber nur das Gezwitscher der Vögel. Einmal überraschte er ein paar Fasane, die lärmend aufflogen. Er hockte sich an einen Fichtenstamm und wartete eine Minute, bis alles wieder still war. Dann ging er langsam weiter. Zwanzig Meter vor ihm kreuzten sich die Wege. Er schlich am rechten Wegrand dicht an den Fichten entlang bis zur Abzweigung, so dass er den Mann sah, der auf ihn zukam, bevor dieser ihn wahrnahm. Zu diesem Zeitpunkt hatte er seine Pistole längst gezogen. Der Abstand war perfekt: Die Person vor ihm war zu weit weg, um ihm physisch gefährlich werden zu können, andererseits aber so nah an ihn herangekommen, dass er sie mit der Waffe kaum verfehlen konnte. Ihre Blicke begegneten sich, und beide wussten, wer der andere war.
»Legen Sie sich hin. Mit dem Gesicht zum Boden!«
Der Mann gehorchte nicht, und seine Augen huschten von der Mündung der Waffe zu den Bäumen. Konrad Simonsen entsicherte die Waffe. Das leise metallische Klicken war eine deutliche Warnung.
»Sie sollten sich keine Hoffnungen machen. Wenn Sie weglaufen, schieße ich Ihnen in die Beine, und das Gleiche tue ich, wenn Sie sich jetzt nicht hinlegen. Ihr Schienbein wird dann völlig grundlos zertrümmert, außer ich entscheide mich dafür, Ihnen ein paarmal in den Bauch zu schießen, um das Vergnügen zu haben, Sie sterben zu sehen. Das Resultat wäre in jedem Fall das gleiche, nämlich, dass Sie am Boden liegen. Entscheiden Sie lieber selbst, oder wollen Sie wirklich, dass ich Ihnen diese Entscheidung abnehme?«
Der Mann stellte seine Tasche ab und legte sich auf den Boden. Er zeigte keine Gefühle, weder Wut noch Resignation. Konrad Simonsen trat hinter ihn, beugte sich nach unten und legte ihm routiniert die Handschellen an. Ohne Eile sicherte er seine Pistole, steckte sie zurück ins Halfter und zündete sich eine Zigarette an. Gierig sog er den Rauch in die Lungen und musterte seinen Fang neugierig. Der schlanke, durchtrainierte Mann war ganz offensichtlich körperliche Arbeit gewohnt, sein Gesicht war wettergegerbt, und seine blonden Haare standen in alle Richtungen ab. Die klaren, blauen Augen sahen ihn wachsam und feindselig an, und über der rechten Augenbraue leuchtete eine unregelmäßige, rote Narbe. Konrad Simonsen zog den Mann auf die Beine und suchte ihn nach einer Waffe ab, fand aber, wie erwartet, keine. In der Seitentasche von
Kletterers
widerstandsfähiger Windjacke war ein Handy ohne SIM-Karte. In der Tasche, die er bei sich trug, befanden sich eine professionelle
Weitere Kostenlose Bücher