Schweinehunde / Roman
das Fernglas zur Seite, kletterte von seinem Sitz und warf einen Blick durch die Tür des Schuppens.
Über dem Fjord ballten sich bleigraue Gewitterwolken zusammen, und am Horizont zuckten Blitze. Beeindruckt sah er dem Schauspiel zu. Die Turbulenzen und Winde waren mitunter so stark, dass einzelne graue Fetzen aus der Unterseite der Wolken gerissen und in den Fjord gedrückt wurden. Die dunkle Front näherte sich in einem unbeschreiblichen Tempo, und plötzlich entstand eine Windhose, dann eine zweite und etwas weiter entfernt noch eine dritte. Leicht gekrümmt, oben dick und unten schmal auslaufend, rasten sie über den Wasserspiegel. Drei riesige Fangzähne, die in wildem Tanz auf das Land zueilten. Das Phänomen war aber nur von kurzer Dauer. Unmittelbar nachdem sie das Land erreichten, wurde die Zähne zu Boden gezogen, geschluckt und von der Erde verzehrt, während ein tiefes, wie ein Rülpsen klingendes Grummeln in Richtung Stadt zog. Dann kam der Regen.
Eine Viertelstunde später war die Front über sie hinweggezogen, und das Licht kehrte zurück. Konrad Simonsen nahm seine Suche wieder auf. Alles war wie zuvor, die gleichen ungeordneten Formen und Umrisse, die gleichen Nuancen aus zerfallendem Grün, die gleiche, aktivitätslose Stille. Oder doch nicht? Der Regen hatte das Revier durchgespült, und die Sonne glitzerte in Myriaden von fallenden Tropfen, so dass jedes Blatt glühte, jeder Ast strahlte, während sich kleine Existenzen vorsichtig aus dem Schutz des Waldes wagten, um ihre nasse, wiedergeborene Welt zu erobern. Auch Konrad Simonsen bemerkte die Veränderung und dachte: Du bis da,
Kletterer,
und ich kriege dich. Irgendwann machst du einen Fehler, einen winzigen Fehler, und dann schnappe ich zu. Ich bin das erste Glied der Nahrungskette, und ich habe Hunger, gewaltigen Hunger.
Im gleichen Augenblick hatte Arne Pedersen Neuigkeiten: »Sie ist gerade vorbeigefahren. Ich bin etwa hundert Meter hinter ihr.« Und fügte kurz darauf hinzu: »Ich bin gerade über die Brücke gefahren und liege dicht hinter ihr. Wir sind in gut einer Stunde bei euch, ich habe übrigens eben Nachrichten gehört, wollt ihr wissen, was gerade abgeht?«
Die Comtesse antwortete als Erste: »Sehr gerne.«
»Die Topnachricht kam vom Schlossplatz Christiansborg, die Menschen versammeln sich zu einer merkwürdigen Demonstration. Sie verhalten sich ruhig, keine Reden, Lieder oder Parolen. Nur ein Riesenbanner, auf dem gefordert wird, die Gesetze zu verschärfen und der Gewalt ein Ende zu bereiten. Die Demonstranten haben anscheinend vor zu warten, bis das Parlament reagiert. Der Kommentator sprach von einer
würdevollen Stimmung, über die man nicht hinwegsehen sollte.
Keine Ahnung, was das zu bedeuten hat. Danach folgte ein Bericht aus dem Parlament, wo im Augenblick alles drunter und drüber geht. Allem Anschein nach haben sie ein Pädophiliepaket in der Mache, wobei sich die Politiker auf die drei Hauptforderungen in den ganzseitigen, heute erschienenen Zeitungsanzeigen beziehen. Deutlich höheres Strafmaß und Wegfall der Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch von Kindern. Hilfe für die Opfer in Form von staatlich finanzierter psychologischer Hilfe. Verbot von pädophilen Vereinigungen und stark verbesserte Infrastruktur für die Suche nach Kinderpornos im Internet. Dabei sollen auch unsere Ressourcen aufgestockt werden. Des Weiteren wird geprüft, ob man nicht auch die Banken zur Rechenschaft ziehen kann, über die die Zahlungen für dieses Material laufen. Ebenso die Reisebüros, deren Gäste sich im Ausland an Kindern vergehen.«
Konrad Simonsen unterbrach ihn: »Kannst du dich nicht auf die Hauptpunkte beschränken? Ich glaube, ich wittere etwas!«
Arne Pedersen war nervös.
»Die Hauptpunkte, ja. Aber das Letzte habe ich nicht verstanden.«
»Ich schon, du machst mir Angst, Konrad«, bemerkte die Comtesse.
Eine kurze Pause entstand. Niemand wusste, wer jetzt etwas sagen sollte. Dann meinte Arne Pedersen: »Anscheinend hapert es am Grundgesetz. Die Versammlungsfreiheit gilt bekanntermaßen für alle, und auch die Verantwortung von Banken und Reisebüros ist ein heißes Eisen. Schließlich gibt es kommerzielle Interessen, und … damit reichlich Konfliktpotenzial.«
Die Comtesse übernahm: »Im Prinzip habe ich nichts gegen dieses Anliegen, ich würde mir nur wünschen, die Initiatoren hätten eine etwas normalere Vorgehensweise gewählt, um Gehör zu finden.«
Keiner der Männer antwortete. Es war allen
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