Schweinehunde / Roman
er ja noch gar nicht in der Turnhalle gewesen. Er ließ den Gedanken fallen und konzentrierte sich auf das Wesentliche.
»Fahr in die Stadt und iss etwas. Es reicht, wenn du in einer Stunde wieder hier bist.«
»Ich habe aber keinen Hunger.«
»Das ist ein Befehl, Comtesse. Und mach dein Telefon aus.«
Sie nickte, als verstünde sie, doch in ihren Augen las er das Gegenteil. Normalerweise war sie die Stabilität in Person, diejenige, die sich nicht mitreißen ließ, wenn alle anderen aus der Bahn geworfen wurden. Als sie sich umdrehte und das Licht in einem anderen Winkel auf ihr Gesicht fiel, sah er, dass ihr Teint fast dem ihrer aschgrauen Haare glich.
»Es ist schrecklich, Konrad. Ich glaube, ich habe so etwas noch nie gesehen.«
»Nein, das hat vermutlich niemand von uns.«
»Arne und ich haben nur durch die Tür geschaut und … Puh, das war wirklich grausam.«
»Ja, das ist hart, aber jetzt geh endlich los, ich habe anderes zu tun, als mich um dich zu kümmern.«
Er sagte das mit einem Lächeln, um seinen Worten die Schärfe zu nehmen, aber sie schien es nicht zu bemerken und blieb stehen, so dass er sich fragte, ob er sie in den Arm nehmen oder ihr wenigstens die Hand auf die Schulter legen sollte. Aber er tat nichts dergleichen, er verstand sich nicht so gut auf so etwas. Schließlich sagte sie: »Ich bin gleich wieder okay.«
»Das weiß ich doch. Bis gleich.«
Dann ging sie.
Der Lesesaal der Schule war vorübergehend zur Schaltzentrale der Ermittlungen vor Ort geworden. Zwei Bücherregale, deren Inhalt auf den Fensterbänken aufgestapelt worden war, waren leer, und auf dem Tisch mitten im Raum lagen eine Packung Papier und eine Schachtel mit Bleistiften. Ein Whiteboard stand vor der grünen Tafel, so dass die Ermittlungsergebnisse und weiteren Schritte mit dicken Filzschreibern statt mit Kreide aufgezeichnet werden konnten. An der anderen Seite des Raumes hing ein Grundriss der Schule. Er war in aller Eile gezeichnet worden und sah dementsprechend schief aus.
Den Kopf leicht zur Seite geneigt, studierte Konrad Simonsen diesen Plan, während Arne Pedersen die Gelegenheit nutzte, die Sitzfläche seines Stuhls abzuwischen. Seine Hose hatte bereits zwei Flecken, und er wollte Schlimmeres vermeiden.
»Wie war der Flug?«
»Unangenehm.«
»Und das Ferienhaus? Kriegst du die Miete wieder?«
»Wohl kaum.«
Die Stühle, die schon bessere Zeiten gesehen hatten, knackten bedrohlich, als die zwei Männer sich setzten. Konrad Simonsen stemmte die Ellenbogen auf die Tischplatte und fragte ohne Umschweife: »Wie geht es dir?«
Arne Pedersen war nicht überrascht über die Frage, ein gutes Zeichen.
»Besser, aber anfangs war es echt übel. Ich habe mich zweimal übergeben, das ist mir schon seit Jahren nicht mehr passiert. Also … eigentlich noch nie.«
»Aber jetzt geht es dir wieder gut?«
»Sonst reagiere ich nur bei Kindern so, ach, du weißt schon.«
»Arne, beantworte meine Frage. Geht es dir gut?«
Arne Pedersen sah ihm in die Augen.
»Ja, alles in Ordnung.«
»Gut, dann gib mir einen Einblick: Chronologie, Ressourcen, Status.«
Die Aufforderung klang schroffer und autoritärer, als er es beabsichtigt hatte, aber die Verärgerung über die Wartezeit steckte noch in ihm, und er wollte jetzt endlich die Fakten, ohne Wenn und Aber. Pedersen ging auch sofort auf seine Aufforderung ein. Nüchtern und präzise berichtete er ihm, was geschehen war. Er begann mit der türkischen Mutter, die ihre Kinder um 6.15 Uhr am Fahrradständer rechter Hand vor dem Eingang der Schule abgesetzt hatte. Er fuhr fort: »Heute ist ja der erste Schultag nach den Herbstferien, die Schule ist offen. Die Kinder gingen in ihre jeweiligen Klassenzimmer, hängten ihre Jacken auf und trafen sich danach vor der Turnhalle im B-Flügel, um Ball zu spielen. In der Halle entdeckten sie dann die fünf Leichen. Die große Schwester suchte vergeblich nach einem Erwachsenen und wählte schließlich vom Lehrerzimmer aus die Notrufnummer, wo man sie mit der Polizei in Gladsaxe verband. Der Anruf ging dort um 6.41 Uhr ein. Der Wachhabende … Moment, das war …« Er zögerte und dachte nach.
Konrad Simonsen sagte: »Der Name spielt keine Rolle, aber sag mal, diese zwei Kinder, die waren dann verdammt früh hier? Ich dachte, die Schule beginnt erst um acht Uhr?«
»Das ist auch so, ich habe mich auch darüber gewundert, und deshalb den Direktor gefragt. Er hat mir gesagt, dass eine Handvoll Kinder lange vor Schulbeginn
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