Schweinehunde / Roman
los und konnte es sich nicht verkneifen, ihre Kollegin aufzuziehen.
»Gute Arbeit, findest du nicht auch! Bist du eigentlich bald fertig?«
»Fertig? Spinnst du? Wie soll ich das alles denn im Laufe einer Viertelstunde aufnehmen?«
»Ach, so schwer ist das nun auch wieder nicht. Konzentriere dich einfach auf das Wesentliche.«
Pauline Berg nickte abwesend und blätterte resigniert um. Die Comtesse kam ihr zu Hilfe.
»Soll ich für dich zusammenfassen? Du kannst dann ja parallel lesen.«
»Erinnerst du dich denn an alles?«
»An alles nicht, aber an die Hauptpunkte.«
»Wie um alles in der Welt machst du das? Das geht echt nicht in meinen Kopf!«
»Ich konnte mich ja in Ruhe damit beschäftigen, bevor du zum Frühstück gekommen bist. Das lernst du auch noch.«
»Du meinst, wenn ich meine Arztromane hin und wieder durch einen Bibliotheksbesuch ergänze?«
Die Comtesse zuckte mit den Schultern, etwas unsicher über die Richtung, die das Gespräch genommen hatte. So viel Selbsterkenntnis hatte sie ihrer Kollegin gar nicht zugetraut. Trotzdem behielt sie ihre drei frühmorgendlichen Arbeitsstunden für sich und redete hastig weiter: »Das würde sicher nicht schaden, aber legen wir los. Frank Ditlevsen wurde 1952 in dem Dorf Ullerløse in der Gemeinde Odsherred geboren. Sein kleiner Bruder kam drei Jahre später auf die Welt. Sie hatten keine anderen Geschwister. Die Mutter verlässt die Familie 1956 und emigriert nach Leeds in England, wo sie bei einer Freundin aus der Kindheit ein neues Leben beginnt. Möglicherweise flieht sie vor dem Vater der Kinder, aber das wissen wir nicht.
Das Leben der Kinder ist hart, sie haben nur das Nötigste. Ihr Vater, Palle Ditlevsen, schlägt sich als Arbeiter durch, als Handlanger, wenn du so willst. Zwischendurch arbeitet er ein bisschen schwarz, nimmt hier und da eine Arbeit an, hilft im Sommer bei der Ernte und jobbt für die Gemeinde. Er repariert Fahrräder und verkauft eine Zeitlang vermutlich geklaute Räder. Es gibt zwei Polizeiberichte, aber es kam nie zu einer Verurteilung oder auch nur einer Geldbuße, die scheinen das also irgendwie unter der Hand geregelt zu haben. Die Kinder werden vernachlässigt. Der Vater beginnt mindestens zeitweise zu trinken und übt Gewalt gegen sie aus. Die Gemeinde untersucht die schlimmen familiären Verhältnisse. Es macht keinen Spaß, den Bericht des Jugendamtes zu lesen, er hat fünf Beilagen. Die erste aus dem Jahr 1962, die letzte 1967. Man hätte dem Vater die Kinder wegnehmen müssen, aber dem wurde zugunsten der Steuerzahler nicht stattgegeben. Die Gemeinde unternahm einfach nichts.«
Die Comtesse gab ihrer Mitfahrerin Zeit, um alles zu überprüfen. Pauline Berg blätterte durch den Bericht und las zielgerichtet ein paar Abschnitte.
»Das ist alles so weit richtig, weiter«, sagte sie, als sie fertig war. Sie war beeindruckt und fühlte sich unterlegen.
»Frank Ditlevsen bekommt eine Lehrstelle und schließt 1971 seine Ausbildung als Lithograph und Drucker ab. Sein Leben wirkt stabil. Bis 1986 hat er den gleichen Arbeitgeber, doch als die neuen Technologien die Branche aufmischen, muss der Betrieb dichtmachen. Zwei Jahre zuvor heiratet Frank Ditlevsen. Die Braut ist eine Putzfrau aus Rørvig. Noch im gleichen Jahr wird das einzige Kind des Paares geboren, unsere Sängerin von gestern.
Allan Ditlevsen tritt in die Fußspuren seines Vaters, wenn ich das so sagen darf, sieht man einmal davon ab, dass er nicht trinkt. In der Zeit von 1971 bis 1993 ist er beim Finanzamt bei nicht weniger als sechsundvierzig verschiedenen Arbeitgebern gemeldet. Leider taucht er dabei auch als Kindergartenhelfer und als Vertreter eines Kindergartenhausmeisters auf.«
»Faszinierend, das ist echt beinahe fehlerfrei, du bist unglaublich.«
»1985 stirbt der Vater. Im gleichen Jahr macht sich Frank Ditlevsen als Vermögensberater und Seminarleiter selbständig. Er hat dafür in Rekordzeit ein Diplom in dänischer Philologie gemacht, das aber gefälscht ist. Er baut einen soliden kleinen Betrieb mit einem festen Kundenkreis rund um Kopenhagen auf. In der Regel handelt es sich bei diesen Kunden um größere Firmen. Niemand zweifelt seinen Hintergrund an.«
»Stimmt, das ist, wenn ich das richtig verstanden habe, erst bei den jetzigen Ermittlungen herausgekommen.«
»Ja, seine Kunden sind nicht misstrauisch geworden, oder es war ihnen egal, schließlich hat er seinen Job ja fehlerfrei gemacht. Nun, weiter im Text: 1994 kauft Frank Ditlevsen die
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