Schweinsgalopp
Schmerz Teil der normalen Sinneswahrnehmungen sein.« Und an Pfirsich gerichtet: »Ich warne dich. Es besteht die Möglichkeit, daß ich unsterblich bin.«
»Ja, aber wir sind es wahrscheinlich nicht«, gab Susanne zu bedenken.
»Unsterblich, wie?« wiederholte Pfirsich. »Du würdest also nicht sterben, wenn ich dir diesen Bolzen in den Kopf schieße?«
»Nun, wenn du es so ausdrückst… Ich weiß inzwischen, daß ich Schmerzen empfinden kann…«
»Also gut. Bewegung, Bewegung.«
»Wenn etwas passiert…«, flüsterte Susanne aus dem Mundwinkel. »Dann geht ihr beide nach unten und verlaßt den Turm, klar? Das Pferd bringt euch fort, wenn es zum Schlimmsten kommt.«
» Falls etwas passiert«, erwiderte der o Gott ebenso leise.
»Es ist nur eine Frage der Zeit«, hauchte Susanne.
Hinter ihnen sah sich Pfirsich um. Er hätte sich viel besser gefühlt, wenn einer der anderen zugegen gewesen wäre. Es war fast eine Erleichterung, Gefangene zu haben.
Aus den Augenwinkeln sah Susanne, wie sich etwas auf der Treppe an der gegenüberliegenden Seite des Schachtes bewegte. Ein und zwei Sekunden lang glaubte sie, ein Blitzen zu sehen, von der Art, wie es scharfe Klingen verursachen.
Sie hörte, wie der Mann mit der Armbrust nach Luft schnappte.
Er stand völlig reglos und starrte zur anderen Treppe hinüber.
»O neeeiiin«, brachte er hervor.
»Was ist denn?« fragte Susanne.
»Siehst du es ebenfalls?« fragte er.
»Ein Etwas, das aus vielen schnappenden Klingen zu bestehen scheint?« erwiderte Susanne.
»O neeeiiin …«
»Es hat sich nur ganz kurz gezeigt«, fügte Susanne hinzu. »Jetzt ist es wieder weg. Vermutlich befindet es sich woanders «, betonte sie.
»Es war der Scherenmann…«
»Der was?« fragte Gallig.
»Der Niemand!« entgegnete Pfirsich scharf. »Es gibt keinen Scherenmann, klar?«
»Oh, ich verstehe «, sagte Susanne. »Hast du als kleines Kind am Daumen gelutscht? Der Scherenmann, den ich kenne, sollte Kinder erschrecken. Es heißt, er erscheint immer dann, wenn…«
»Seibloßstillseibloßstill!« stieß Pfirsich hervor und hob drohend die Armbrust. »Kinder glauben an alle Arten von Unsinn! Aber ich bin längst erwachsen, und ich kann Bierflaschen mit den Zähnen anderer Leute öffnen… oh, bei den Göttern …«
Susanne hörte wieder das Schnippschnapp. Es war nun ganz nah.
Pfirsich hatte die Augen geschlossen.
»Steht da was hinter mir?« fragte er mit bebender Stimme.
Susanne schob Gallig und Violett beiseite und deutete mehrmals die Treppe hinunter.
»Nein«, antwortete sie, als der o Gott und die Zahnfee forteilten.
»Steht überhaupt etwas auf der Treppe?«
»Nein.«
»Na schön! Wenn du den einäugigen Mistkerl siehst… Sag ihm, er kann das Geld behalten!«
Pfirsich drehte sich um und lief davon.
Als Susanne den Weg nach oben fortsetzen wollte, sah sie den Scherenmann.
Er hatte keine menschliche Gestalt. Das Geschöpf wirkte wie eine Mischung aus einem Vogel Strauß und einer Eidechse, die auf den Hinterbeinen stand. Und es schien praktisch nur aus Klingen zu bestehen. Wenn es sich bewegte, machten tausend Klingen Schnippschnapp.
Der lange, silbrig glänzende Hals neigte sich nach vorn, und ein aus Scheren bestehender Kopf starrte auf Susanne herab.
»Du hast es nicht auf mich abgesehen«, sagte sie. »Du bist nicht mein Alptraum.«
Die Klingen wackelten von einer Seite zur anderen, als der Scherenmann nachzudenken versuchte.
»Ich weiß noch, als du wegen Twyla gekommen bist.« Susanne trat einen Schritt vor. »Die blöde Gouvernante hat ihr erzählt, was mit kleinen Mädchen passiert, die am Daumen lutschen, erinnerst du dich? Und erinnerst du dich auch an den Schürhaken ? Ich wette, anschließend mußtest du viele deiner Scheren neu schleifen lassen, stimmt’s?«
Das Wesen senkte den Kopf, trat vorsichtig und möglichst höflich an Susanne vorbei, rasselte dann die Treppe hinunter und verfolgte Pfirsich.
Susanne eilte die Stufen hinauf.
Sideney stülpte einen grünen Filter über die Laterne und drückte mit einem kleinen Silberstab zu, an dessen Spitze ein Smaragd glänzte. Ein Teil des Schlosses bewegte sich. In der Tür surrte etwas, und es klickte deutlich vernehmbar.
Erleichterung durchströmte ihn. Es heißt, daß eine drohende Hinrichtung den Geist beflügelt. Doch das war ein starkes Beruhigungsmittel im Vergleich dazu, von Kaffeetrinken beobachtet zu werden.
»Ich… äh… glaube, damit hätten wir das dritte Schloß geschafft«,
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