Schweinsgalopp
sprangen.
»Was war das?« fragte Susanne.
»Der Beginn eines Schreis, glaube ich«, erwiderte Gallig.
Susanne öffnete die Tür.
Draußen war niemand.
Aber etwas bewegte sich. Sie beobachtete, wie an einer Ecke ein Fleck aus Dunkelheit schrumpfte und verschwand. Ein anderer kroch um die Ecke des Flurs.
Einige Meter entfernt standen zwei Stiefel auf dem Boden.
Tods Enkelin sah sie jetzt zum erstenmal. Vorher waren sie ihr nicht aufgefallen.
Sie schnupperte. Es roch nach Ratten und muffiger Feuchtigkeit.
»Laß uns gehen«, sagte sie.
»Wie sollen wir Violett in diesen vielen Zimmern finden?«
»Ich weiß nicht. Ich sollte sie… spüren können, aber hier funktioniert das nicht.« Susanne blickte um die Ecke am Ende des Flurs. Irgendwo ertönten die recht lauten Stimmen von Männern.
Zusammen mit dem o Gott kehrte die junge Frau zur Treppe zurück. Kurze Zeit später erreichten sie eine andere Etage mit vielen Räumen. In jedem stand eine aufgebrochene Vitrine.
Schatten huschten in den Ecken hin und her. Es sah aus, als bewegte jemand eine verborgene Lichtquelle.
»Dies hier erinnert mich sehr an das Haus deines… äh… Großvaters«, sagte Gallig.
»Ja«, erwiderte Susanne. »Bei ihm gibt es nur die Regeln, die er sich selbst einfallen läßt. Er wäre bestimmt nicht sehr erfreut, wenn jemand käme und seine Bibliothek auseinandernähme…«
Sie unterbrach sich. Als sie erneut sprach, klang ihre Stimme anders.
»Dies ist eine Kinderwelt. Hier werden die Regeln von dem bestimmt, was Kinder glauben.«
»Das ist eine große Erleichterung.«
»Glaubst du? Hier dürfen wir nicht damit rechnen, daß die Dinge richtig sind. In der Heimat der Seelenkuchenente können Enten Schokoladeneier legen. Das gleiche Prinzip macht aus Tods Heimat einen dunklen Ort – die Leute glauben daran. Und in dieser Hinsicht ist er sehr konventionell. Überall sind Verzierungen aus den üblichen Totenschädel- und Knochenmotiven. Und hier …«
»Hübsche Blumen und ein seltsamer Himmel.«
»Ich glaube, es wird noch viel schlimmer. Und seltsamer.«
»Noch seltsamer als jetzt?«
»Vermutlich kann man hier nicht sterben.«
»Der Mann, der die Treppe hinunterfiel… Er sah ziemlich tot aus.«
»Oh, ja, man stirbt. Aber nicht hier. Nun… man… verschwindet. Man ist einfach… fort und wird nicht mehr gesehen. Mehr verstehen Dreijährige nicht. Mein Großvater meint, vor fünfzig Jahren sei es anders gewesen. Angeblich konnte man damals das Sterbebett vor lauter Trauernden kaum sehen. Heute heißt es einfach, Oma sei fort. Twyla glaubte drei Wochen lang, ihr Onkel wäre hinter dem Schuppen begraben, bei Fiffi, Miezi und den drei Hansis.«
»Den drei Hansis?«
»Wüstenspringmäuse«, erklärte Susanne. »Sie sterben ziemlich schnell. Der Trick besteht darin, sie auszutauschen, wenn die Kinder nicht hinsehen. Weißt du denn überhaupt nichts?«
»Äh… hallo?«
Die Stimme kam vom Flur.
Sie gingen zum nächsten Zimmer.
Dort saß Violett auf dem Boden, an das Bein einer weißen Vitrine gefesselt. Sie sah auf, und die Furcht in ihrem Gesicht wich erst Verwunderung und dann vagem Erkennen.
»Bist du nicht…?«
»Ja, ja, wir sind uns einige Male in der Bahre begegnet, und als du gekommen bist, um Twylas letzten Zahn zu holen… Die Tatsache, daß ich dich sehen konnte, machte dich so nervös, daß du einen stärkenden Schluck brauchtest.« Susanne fummelte an den Stricken herum. »Ich glaube, wir haben nicht viel Zeit.«
»Wer ist er?«
Der o Gott versuchte, sein strähniges Haar in Ordnung zu bringen.
»Oh, nur ein Gott«, sagte Susanne. »Er heißt Gallig.«
»Trinkst du?« fragte der o Gott.
»Was ist denn das für eine Frage…?«
»Er muß es wissen, um zu entscheiden, ob er dich haßt oder nicht«, sagte Susanne. »Das ist eine göttliche Sache.«
»Nein, ich trinke nicht«, erwiderte Violett. »Das wäre ja noch schöner. Ich habe das blaue Band!«
Der o Gott wölbte die Brauen und sah Susanne an.
»Es bedeutet, sie gehört zu Offlers Liga der Enthaltsamkeit«, erläuterte Tods Enkelin. »Die Mitglieder schwören feierlich, keinen Alkohol zu trinken. Der Grund dafür ist mir ein Rätsel. Als Krokodil kommt Offler wohl nur selten dazu, Tavernen zu besuchen. Wasser ist ihm vermutlich lieber.«
»Du rührst überhaupt keinen Alkohol an?« vergewisserte sich Gallig.
»Nie!« bestätigte Violett. »In dieser Hinsicht war mein Vater ziemlich streng.«
Nach einer Weile winkte Susanne, um den
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