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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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Vorgesetzter aus dem Mercedes. Als dieser in den Vorgarten und an die Haustür trat, um zu läuten, sah er, wie der Gefreite bereits auf dem Bürgersteig die Straße hinunterschlenderte. Meier blickte abwechselnd in die Vorgärten, begutachtete im Vorbeigehen die Autos, inspizierte die ganze Wohngegend.
    Stefan Heinzmann konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. »Meier, mein Freund, du gefällst mir. Hast den richtigen Beruf gewählt.« Dann läutete er bei H. Amadio-Meier.

    Keine Antwort.

    Der erfahrene Wachtmeister drückte nochmals auf den Klingelknopf.

    Keine Antwort.

    Bereits war Heinzmann die wenigen Stufen an der Eingangstür wieder hinuntergestiegen und schaute jetzt vom Vorgarten in den ersten Stock hinauf, dorthin, wo die alte Rentnerin wohnte. Er kannte die Wohnung noch von seinem Besuch bei dieser Frau her, als er und Kommissar Baumer die Alte bei diesem Mordfall – Amoklauf mit Samuraischwert am Bahnhof Basel SBB mit zwei Toten – als Zeugin befragt hatten. Amadio hatte die beiden damals in ihrer Wohnung empfangen.
    In vielen der Wohnhäuser waren Lichter entzündet. Es war Mitte März und die Tage waren noch kurz. Der bedeckte Himmel half zusätzlich, die Dunkelheit satt in die Stadt zu drücken.
    Der Wachtmeister sah, dass die Wohnung von Helen Amadio weitgehend im Dunkeln lag. Er bemerkte aber auch einen fahlen Lichtschein hinter einem Fenster. Es sah aus, als ob im Wohnzimmer eine kleine Lampe brennen würde, wohl der Schein einer Leselampe.
    Merkwürdig, dachte Heinzmann. Vielleicht hat sie vergessen, das Licht auszumachen, als sie wegging.« Zugleich wunderte er sich: Sie geht doch nicht weg, so spät am Abend unter der Woche, in ihrem Alter. Warum hat sie dann nicht mehr Lampen angedreht?
    Der Wachtmeister trat vom Trottoir weg auf die Straße, schaute wieder hinauf.
    Meier war inzwischen von seinem Inspektionsgang zurück und fragte den Patrouillenchef, ob die Frau denn nicht da sei?
    Heinzmann antwortete nicht, sondern ging erneut zum Hauseingang und läutete energisch an der Klingel zur Wohnung im Erdgeschoss. Nach kurzer Zeit ertönte ein leises Summen, und er drückte gegen die Eingangstür im Jugendstil, die nur angelehnt gewesen war. Sie war aus Holz. In die obere Hälfte waren vier Scheiben eingesetzt. Ein metallenes Geflecht aus hübschen Rankpflanzen – Heinzmann kannte ihren Namen nicht – war vor dem Glas eingelassen. Es schützte die Scheiben vor Bruch und verwehrte einem möglichen Einbrecher ein leichtes Eindringen. Zugleich war das Metallgitter filigran genug, damit ausreichend Licht durch die Gläser gehen und so den Korridor mit Tageslicht versorgen konnte.
    Heinzmann wuchtete die Tür auf. Sie war schwer und zudem wegen der Kälte langer Winternächte verzogen. Die Scharniere heulten gequält auf. Frau Amadio musste es wohl täglich einige Kraft kosten, sie zu öffnen.
    Im Parterre war die Wohnungstür bereits einen Spaltbreit offen. Eine junge Frau lugte heraus. Sie erschrak, als sie einen stämmigen Polizisten in Uniform sah. Ihr stockte leicht der Atem. »Ja. Äh?«
    Stefan Heinzmann grüßte die Frau, die sich nicht getraute, die Klinke der Wohnungstür loszulassen und sich mit der anderen Hand am Kopf kratzte. Sein Grüezi klang so, wie es halt so tönt, wenn ein altgedienter Wachtmeister, der zu viel Plastikkaffee bei seiner Arbeit trinkt, es sagt. Es klang durchaus freundlich, doch auch forsch, kurz angebunden, nicht herzlich, nicht unherzlich, undurchdringlich neutral. Es eröffnete eine Unterhaltung, die mehr Befragung denn Konversation werden würde. Kühl. Zweckmäßig. Wachtmeister Heinzmann wollte etwas wissen. Er würde es erfahren.
    »Grüezi«, antwortete die Frau dem Polizisten. Ihr Grüezi war ein erstauntes Hallo. Es war noch nicht erschreckt, eher fragend. Die Frau sagte dieses Wort mit leichtem Unwohlsein, zugleich hoffend, dass es nichts Schlimmes sei.
    »Ich bin Wachtmeister Heinzmann. Ich möchte zu Frau Amadio.«
    »Ach so«, entspannte sich die Hausbewohnerin sichtlich und trat einen erleichterten Schritt aus der Wohnung. Was immer es auch war, es betraf offenbar nicht sie persönlich. Glück gehabt!
    »Frau Amadio hat nicht geöffnet«, erklärte Stefan Heinzmann die Situation. Eine Entschuldigung für die Störung fügte er nicht an. Er musste seinen Job machen. Nicht jeder hat Zeit und Lust für Small Talk.
    Hätte Wachtmeister Heinzmann weniger an der Front gearbeitet und mehr seichte Plauderei gemacht, er hätte Offizier werden können.

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