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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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hatte beide Hände vor den Mund geschlagen, als sie die ganze Tragödie begriff, die sich aus den wenigen Sätzen und Bemerkungen von Andi ergab.
    »Nein«, berichtete Heinzmann aus dem fernen Basel in das Hotelzimmer Nr. 05 des Hotels Delphina nach Kreta. »Es sah mehr danach aus, als sei sie bereits tot in sich zusammengesackt. Der linke Arm war ausgestreckt. Der rechte hingegen war geknickt und der Ellenbogen lag unter dem Körper. Die Hand war abgedreht.«
    »Ja, verstehe«, bemerkte Andi und blickte zu Boden. »Du sagtest, es gab nur wenig Blut.«
    Anna hatte sich aufgerichtet, ohne dass es Andi wahrgenommen hatte. Als sie das ganze Ausmaß dieser schrecklichen Tat begriff, sprang sie auf, ging kopfschüttelnd ins Bad. Ihre Hände hatte sie an die Wangen gelegt und drückte mit ihren Fingerspitzen auf die Schläfenknochen. Sie war erschreckt über die Tragödie und konnte es nicht fassen, dass sie sich noch in ihren Ferien mit Tod und Elend auseinandersetzen musste. Sie warf sofort die Tür hinter sich zu.
    Andi Baumer wurde sich dessen kaum gewahr. Er war in Gedanken bereits in dieser Wohnstube bei Helen Amadio, betrachtete die liegende Gestalt einer alten schrumpeligen Frau, in der man das junge sportliche Mädchen sehen kann, wenn man will – oder bereits den verwesten Leichnam. Der Kommissar sah durch die Augen von Heinzmann die alte, winzige Frau, ihr schneeweißes Gesicht, aus dem alles Grün und alles Rot und überhaupt alle Farbe entschwunden waren. Altersflecken prangten auf weißer Haut. Die Augen der Toten waren blaugrau. Jeglicher Glanz war entflogen. Zwei matte Seen in hügeliger Landschaft im Appenzell, wenn die Sonne schon hinter dem Berg verschwunden ist. Vom Nacken ausgehend hatte sich um den Kopf der Ermordeten ein roter Ring gelegt, so als ob der Künstler Christo und seine Frau Jeanne-Claude ein samtenes Band in dieser Farbe um ein verwittertes und verlassenes Gebäude gelegt hätten.
    »Schlug sie mit dem Kopf auf?«, fragte Baumer.
    »Ja«, antwortete Heinzmann. »Aber das war nicht der Grund für die Blutung.« Er machte eine kurze Pause. Offenbar fiel es ihm doch nicht so leicht, über die Tat zu berichten. Dann nahm er sich zusammen und berichtete wie Helen Amadio-Meier, 85 Jahre alte Baslerin aus gutem Haus, vom wirklichen Leben im Diesseits in das vermutete Leben im Jenseits befördert worden war. »Es gibt eine kleine Schnittwunde hinten an ihrem Hals.«
    »Wo genau?«
    »Etwa fünfter bis siebter Halswirbel.«
    »Also erstochen?«
    »Ja, das nehme ich an. Der Notarzt auch. Er sagte: So wenig Blut ist typisch für einen Stich direkt ins Rückenmark.«
    »Ein Stich ins Rückenmark«, notierte Baumer nachdenklich.
    »Der Notarzt war ganz aus dem Häuschen. Er fand den Fall äußerst interessant«, fuhr der Wachtmeister fort. »Ein perfekter Stich sei das gewesen. Kein Rumgestocher mit dem Werkzeug. Keine Verletzung einer der beiden Halsschlagadern. Das könne nur ein Profi.«
    Baumer notierte diesen Punkt in seinem Kopf und auch in seinem Bauch. »Das kann nur ein Profi.«
    Als er nichts weiter dazu bemerkte, schloss Heinzmann seinen Bericht ab. »Wenigstens hat sie nicht gelitten.«
    »Nicht gelitten?«, enervierte sich Baumer mit lauter Stimme. »Gottverdammt, warum warst du nicht früher dort, Stefan?«
    »Und du Arschloch? Gottverdammt, hockst in Kreta.«
    »Verdammt, verdammt!«, brüllte Baumer ins Telefon, bis er Anna im Bad laut aufkreischen hörte und verängstigt herauskommen sah. Augenblicklich riss er sich zusammen.
    Auch am anderen Ende war die Explosion vorbei. Weder Heinzmann noch Baumer sagten für eine Weile irgendetwas. Es kam auch kein Wort der Entschuldigung über die Lippen eines dieser beiden Polizisten. Beide wussten, dass es nicht persönlich gemeint war.
    »Verdammter Mist, Stefan«, meinte Baumer schließlich ruhig und mit wieder tiefer Stimme. Es lag keine Anklage mehr in diesem Fluch, vielmehr Verärgerung über diese unsere Welt, die Kreaturen hervorbringt, die solch friedlichen alten Damen, wie die Helen Amadio (geb. Meier) eine war, kalten blitzenden Stahl in den ungeschützten Nacken stoßen.
    Oder so was Ähnliches.

    *
    Es wurde eine lange Nacht. Andi Baumer stand im engen Hotelzimmer und telefonierte unablässig in die Schweiz. Anna hatte sich ein wenig beruhigt, blieb aber erschreckt über die Wucht, wie sich Tod und Elend in ihre Leben geschoben hatte n . Noch mehr war sie wie vor den Kopf geschlagen, dass Andi nicht abließ mit seinen Kollegen in

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