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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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Hätte er sich zusätzlich das 300-seitige Handbuch »Richtig Schleimen für Fortgeschrittene« einverleibt, hätte er es bis hinauf in den Kader geschafft. Wenn er dann noch die hohe Kunst des »Lügens ohne mit der Wimper zu zucken« beherrschen würde, wer weiß, wohin ihn seine Karriere getragen hätte. Aber Heinzmanns Vater war Schweißer gewesen, eine ehrliche Haut. Der Grad eines Offiziers lag für Stefan Heinzmann von Geburt weg nicht drin. Auch mit noch so großer Leistung gab es keinen steifen Hut mit Goldkranz für ihn. Für hart anpackende Söhne von ehrlichen Schweißern gibt es ein paar weiße Plastikwinkel auf die Schulterstücke – als Maximum.
    »Das ist aber merkwürdig«, wunderte sich jetzt die Nachbarin von Frau Amadio und drehte den Kopf ins Treppenhaus. »Sie ist nicht da? Sie war doch den ganzen Nachmittag hier.«
    »Ja?«
    »Ja, doch. Frau Amadio ist immer sehr leise. Aber gerade vorhin hat es in ihrer Wohnung ziemlich gerumpelt. Ich dachte noch, ob ich vielleicht …«
    Heinzmann sprang schon die Treppe hoch und ließ die Nachbarin stehen. Die zuckte zusammen, riss die Augen auf, schlug die Hände vor den Mund.
    Oben angekommen, sah der erfahrene Wachtmeister, dass die Wohnungstür der Alten aufgebrochen worden war und nur angelehnt stand. Er drückte sich mit dem Rücken sofort an die Wand, legte seine rechte Hand an den Griff seiner Waffe. Er horchte. Dann schob er mit der linken Hand vorsichtig die Tür auf.

    *
    Baumer stand derweil an der Kasse des winzigen MAXI-Markets, der gegenüber dem Hotel Delphina lag. Die griechische Besitzerin packte ihm einen Becher Joghurt in einen kleinen Plastiksack, den er am Griff seines Stockes befestigte. Die Frau bot ihm spontan an, jemanden zu holen, der ihm tragen half. Zumindest hatte Baumer das so aus dem Touristenkauderwelsch geschlossen. »My son. I call. He bring home. No problem.«
    Baumer lehnte dankend ab. »Efcharisto. It’s okay. No problem.«
    Die Frau in Schwarz nickte verständig, lächelte. Dabei erschienen hinter den mit blutrotem Lippenstift gemalten Lippen für ihr fortgeschrittenes Alter erstaunlich weiße Zähne. Die Ladenchefin hatte eine Hornbrille aufgesetzt, deren Gestell jegliches Licht komplett verschluckte. Die ebenso tiefschwarzen Haare fielen ihr vom Scheitel gleichmäßig zur Seite hinunter. Kurz vor den Schultern endeten sie in einer halben Rolle nach außen. Diese Frau glich Nana Mouskouri aufs Haar.
    »Ciao, Nana. War schön bei dir«, sprach Baumer im Stillen zu sich selbst. »Du brauchst keine Anti-Falten-Crèmes. Du bist ewig herrlich, göttlich. Unsterblich!«
    Als er wieder im Hotelzimmer zurück war, fand er seine Freundin auf dem Stuhl vor dem Spiegeltisch sitzen. Sie saß mit überrundem Rücken auf einem Frotteetuch des Hotels, die Beine hatte sie überschlagen. Mittlerweile hatte sie ein Höschen angezogen. Sie hatte Geschmack und trug einen Slip von Hanro, der aprikosenfarben und samten schimmerte.
    Anna hatte ihre Tränen getrocknet, aber war von der Erkenntnis, dass sie wohl bleich aus den Ferien zurückkehren müsse, in gedrückter Stimmung. Deshalb – und natürlich wegen Andi. Ihre Schultern hingen schlaff herunter. Sie kämpfte mit ihrer akuten Traurigkeit. Dennoch hob sie interessiert den Kopf, als Andi nahe bei ihr stehen blieb.
    »Bald geht es besser«, sagte er väterlich. »Ich verspreche es dir. Joghurt ist das Beste, was man gegen Sonnenbrand tun kann.« Er reichte Anna das Säckchen.
    »Naturjoghurt habe ich nicht gern. Hat es keinen Früchtejoghurt gehabt?«
    »Das geht nicht mit Früchtejoghurt.«
    Anna kramte in der Plastiktüte und frage erstaunt: »Hast du mir keinen Löffel mitgebracht?«
    »Einen Löffel?«
    »Ja«, sagte sie und zog die Schultern leicht zum Kopf, während die Augenbrauen in den Himmel stiegen. »Wie soll ich sonst den Joghurt essen?«
    Baumer unterdrückte ein Lachen. »Essen? Der ist nicht zum Essen. Den tragen wir auf.«
    »Ah ja, jetzt erinnere ich mich wieder. Das soll gut sein gegen Sonnenbrand.«
    »Joghurt ist unschlagbar«, machte Baumer Mut. »Das ist das Beste, was es dagegen gibt.«
    Anna wurde neugierig. Als Krankenschwester konnte sie nachvollziehen, dass das proteinreiche Naturprodukt die verbrannte Haut wahrscheinlich rasch heilen konnte. Daher durfte ihr Freund ihr das halbsteife Joghurt in dicken Schlieren auf den Rücken schmieren.
    »Ui, das ist aber kalt«, erschrak sie beim ersten Auftrag. Doch alsbald spürte sie, dass das Joghurt ihr

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