Schwemmholz
suchte den Weg durch die Hafeneinfahrt, kam aber zu weit nach links. Das Boot setzte auf der überfluteten Hafenmauer auf und sackte steuerbord ab. Berndorf verlor das Gleichgewicht, fast wäre er ins Wasser gekippt, im letzten Augenblick griff er nach dem Tau, das oberhalb der Wandung um das Boot gezogen war, und stemmte sich daran zurück. Eine Welle schlug über sie herein und warf sie zur Seite. Judith drehte den Motor voll auf, das Schlauchboot kam frei und schwappte über harte, bretternde Wellen, langsam gewannen sie Abstand vom Ufer. Berndorf löste seine rechte Hand von dem Tau, etwas Klammes blieb an seinen Fingern. Es war ein Stück Tuch, und er steckte es in seine Hosentasche. Am Ufer verschwanden die Lichter. Judith steuerte das Boot nach Westen. Sie hatte das Gas zurückgenommen. Holz trieb an ihnen vorbei, Äste, manchmal ganze Stämme, unberechenbar. Eine tückische Masse, von Gott weiß wo hergeschwemmt. Das Ufer war nur noch als ferner, dunkler, bewaldeter Streifen zu ahnen. Ab und zu sah er ein Licht.
Mit gedrosselten Motoren lief das Boot der Wasserschutzpolizei auf westnordwestlichem Kurs. Durch das Infrarotglas suchte Tamar die Uferlinie ab. Sie sah geisterhaft fließende Wellen und dahinter dicht geschlossen Bäume und Sträucher, die im Wasser zu stehen schienen. Kein Schlauchboot, nirgends. Vor einer knappen halbe Stunde hatte Schweitzer durchgegeben, dass zwei Personen mit einem Schlauchboot vom Bootshaus weggefahren seien. Wenig später war das Kind schlafend im Bootshaus gefunden worden.
»Hier ist nichts«, sagte sie zu dem Schiffsführer. »Könnten Sie nicht aufdrehen und etwas näher ans Ufer heran?«
»Aufdrehen, ja?«, fragte der Schiffsführer. »Wissen Sie eigentlich, was hier alles im Wasser treibt? Und was so ein Baumstamm anrichten kann?«
Ein Lichtschein breitete sich am Horizont aus. Berndorf nahm an, dass sie sich Friedrichshafen näherten. An manchen Stellen hatte sich das Treibholz zu kleinen schwimmenden Inseln verfangen. Judith drehte das Boot nach rechts. »Hier«, schrie sie ihm zu und deutete zum Ufer. Aus ihrer Jacke holte sie die Pistole heraus und richtete sie auf Berndorf. Berndorf überlegte einen Augenblick, ob er es darauf ankommen lassen solle. Wenn er sich nach vorne warf, würde die Erschütterung vielleicht ausreichen, um Judith aus dem Gleichgewicht zu bringen. Aber dann sah er, dass sie sich mit beiden Füßen sicher an den Innenseiten der Bootswände abgestützt hatte.
Sie würde ihr Gleichgewicht behalten, und sie würde auf jeden Fall schießen. Entweder traf sie ihn oder das Boot. Ins Wasser musste er so oder so.
Langsam zog er die Jacke aus, dann die Schuhe. Er zögerte noch einen Augenblick und sah zu der Frau. Ihr Gesicht war nicht zu erkennen. Er schwang seine Beine über die Wandung und ließ sich ins Wasser gleiten.
Das Boot neben ihm drehte weg, eine eiskalte Welle schwappte ihm über den Kopf, er schluckte Wasser, kam heftig rudernd nach oben, wollte nach Luft schnappen, hart
schlug etwas gegen seinen Kopf, wieder schluckte er Wasser, das alles kann nicht sein, dachte er, im Dienst ertrunken, rasend peinlich, er erwischte die nächste Welle seitlich, so dass sie ihn hochtrug, spuckte Wasser, sah wieder eine Welle über sich und stieß ein schwarzes Stück Balken von sich, schwamm mit der Welle hoch und kam allmählich zu Atem. Träge drehte sich der Balken und verschwand im nachtschwarzen Wasser.
Keuchend versuchte er, sich zu orientieren. Zunächst sah er nur den schwarzen Himmel und die Wellen, die immer von neuem auf ihn zukamen mit immer neuem Treibholz. Das ist kein Schwimmen, dachte er. Der Lichtschein der Stadt geriet ihm ins Blickfeld, viel zu weit weg, als dass er jemals dorthin kommen würde, näher war der dunkle waldige Streifen zu seiner Rechten, er versuchte, so mit den Wellen zu schwimmen, dass sie ihn dorthin trieben, die Kälte begann zu schmerzen, zuerst in den Händen, das Treibholz wurde dichter, klamm hingen Hose und Hemd an ihm, es war lächerlich in den Hosen zu schwimmen, rechts vorne erkannte er einen dunklen Fleck in der Nacht, der Fleck tanzte auf den Wellen, eine Boje? Er versuchte, darauf zuzuschwimmen, aber er hatte keine Kraft mehr in den Armen und sein linkes Bein hing an ihm wie Blei, immer mehr Äste und Gezweig kamen ihm in die Quere, die Boje tanzte und kam keinen Meter näher, diesmal ist es wirklich das Ende, dachte er. Eine Welle schlug über ihm zusammen, die er zu spät gesehen hatte,
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