Schwemmholz
sicher schon gefragt haben, wann ich mich wieder bei Ihnen melde. Aber seien Sie unbesorgt! Ich vergesse Sie nicht. Nehmen Sie fürs Erste meinen herzlichen Glückwunsch zum Freispruch Ihres Freundes entgegen. Oder wollen Sie Herrn Stefan Rodek nicht mehr so gerne als Ihren Freund apostrophiert haben? Ich könnte es verstehen. Gleichwohl sind Sie jetzt einer Sorge ledig. Sie werden Herrn Rodek weder eine private Haftentschädigung zahlen müssen, noch droht Ihnen die Gefahr, er werde sich unverhofft in der Rolle des Kronzeugen gefallen wollen.
So dürfen Sie diesen Tag unbesorgt begehen, und nichts soll Ihre Freude trüben. Damit das auch so bleibt, sollten Sie allerdings Vorsorge treffen. Sie haben teures Geld gespart. Ich meine, Sie sollten einen bescheidenen Teil davon zur Seite legen. Es gibt noch andere Freunde, die sich über eine kleine Anerkennung
freuen werden. Und Freunde sind diejenigen, die zu schweigen verstehen.
Mit freundlichen Grüßen Ihr Unbedeutend.
»Ein Stil ist das«, sagte Schmoltze, »wie aus einem viktorianischen Schauerroman.«
Kuttler sah ihn zweifelnd an. »Hast du schon einmal einen gelesen?«
»Wie käm ich dazu? Du siehst ja, was das für ein Stil ist.«
Berndorf trank einen Schluck aus dem Pappbecher. Es geht auf das Ende zu, dachte er. »Wann ist das Problem mit Hartmut Sander akut geworden?«
Ein wachsamer, ablehnender Ausdruck trat in Judiths Gesicht. »Fragen Sie Welf.« Sie schenkte sich noch einmal den Plastikbecher voll. »Das heißt — etwas weiß ich darüber. Sander ist dieser Gerichtsschreiber, und er kennt eine der Geschichten, bei denen Welf und Rodek eine Frau fertig gemacht haben.« Sie zuckte mit den Schultern. »Er wusste also, dass es eine Verbindung zwischen ihnen gibt. Nachdem die Polizei Rodek wegen des Brandanschlags verhaftet hatte und vor Gericht brachte, wäre es für Welf das Ende gewesen, wenn diese Verbindung zwischen ihnen bekannt geworden wäre. Ich glaube, dieser Mensch hat Welf zu erpressen versucht.«
»Hat er ihm geschrieben?«
»Weiß ich nicht. So was in der Art wird es gewesen sein.«
»Sander war ein vorsichtiger Mann. Wenn er sich wirklich als Erpresser versucht hat, dann ist er nicht offen aufgetreten. Wer ist ihm auf die Spur gekommen?«
Judith warf ihm einen raschen Blick zu. »Sie haben Recht. Der kleine Scheißkerl hat anonyme Briefe geschrieben.« Sie schüttelte den Kopf. »Es war zu blöd. Der Mensch war Protokollführer in Rodeks Verhandlung und hat geglaubt, der hätte ihn nicht erkannt.« Sie sah Berndorf fragend an. »Kennen Sie eigentlich die Geschichte mit diesem Sander?«
»Erzählen Sie sie mir?«
»Der Mensch war bei der Frau, als Welf und Rodek kamen und sie durchziehen wollten. Sie warfen ihn hinaus. Das ist elf oder zwölf Jahre her. Als nun die Gerichtsverhandlung war, kam Rodek dieser Gerichtsschreiber von Anfang an merkwürdig vor. So, als ob er ihn kennen müsste. Nun sitzt der Protokollführer am Richtertisch oberhalb der Angeklagten, also ziemlich nahe bei ihnen — aber das wissen Sie ja besser als ich. Irgendwann in der Verhandlung wird eine Aussage aus einem Polizeiprotokoll verlesen, und Rodek dreht sich wütend zu seinem Anwalt um und will ihm sagen, dass das alles erlogen sei. Und wie er sich umdreht, fährt der Protokollführer zusammen, als würde er schon wieder weggeschickt, und Rodek weiß plötzlich, woher er diesen Menschen kennt.«
»Und wie hat man ihn verschwinden lassen?«
Judiths Gesicht verschloss sich. »Ich habe Ihnen gesagt, was ich weiß. Alles andere müssen Sie Welf fragen.«
Berndorf betrachtete sie. »Sander kannte sowohl Welf als auch Rodek, da haben Sie ganz Recht«, sagte er langsam. »Und weil er Welf zu erpressen versucht hat, musste er verschwinden. Nur war da ein Problem. Außerhalb des Gerichts hätte Sander weder Welf noch Rodek an sich herangelassen. Er war ja ein gebranntes Kind. Man brauchte deshalb eine dritte Person, einen Lockvogel, um an ihn heranzukommen.«
»Sie erwarten nicht, dass ich Ihnen dazu etwas sage.« Sie legte die Hand auf die Waffe. »Wir haben genug geredet.«
»Wie Sie meinen. Dabei haben wir noch nicht einmal über die Explosion am Ostbahnhof gesprochen, und auch nicht über Rodeks Tod.« Berndorf stand mühsam auf. »Ich hätte gern einen Blick auf den See geworfen«, sagte er unvermittelt. Judith betrachtete ihn argwöhnisch. Dann stand auch sie auf und ging ihm ins Wohnzimmer voran, die Waffe in der rechten Hand. Am Fenster zog sie
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