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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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die Jalousie ein Stück weit hoch. Draußen war es finster, ein böiger Wind zerrte an den Weiden, die am Ufer standen, und trieb wild aufgetürmte Wellen ans Land. Draußen auf dem dunklen Gewässer sah sie die Positionslichter des Polizeibootes.

    »Sie haben Recht«, sagte er. »Genug geredet. Wir müssen zur Sache kommen. Ich will das Kind, und ich sollte Sie festnehmen.« Judith trat einen Schritt zur Seite und hob die Pistole.
    »Leider habe ich ein Handikap«, fuhr er fort. »Ich kann Sie nicht überwältigen, und ich kann Sie zu nichts zwingen. Also muss ich mich mit Ihnen einigen.« Er machte eine Pause. »Und wie sieht es bei Ihnen aus? Sie wollen mir das Kind nicht geben, und Sie wollen sich nicht festnehmen lassen. Was aber wollen Sie sonst? Wohin wollen Sie? Auf der Straße warten meine Kollegen auf sie, und draußen auf dem See auch. Davon abgesehen — welche Zukunft rechnen Sie sich aus, mit Haftbefehl gesucht und einem behinderten Kind als einzigem Pfand?«
    Er humpelte in die Küche zurück und setzte sich wieder. Judith folgte ihm, blieb dann aber stehen, an den Türrahmen gelehnt. »Sie haben Rodek getötet, und die Umstände sind nach dem Ergebnis der Obduktion so eindeutig wie die Verfassung, in der wir Sie nach der Geiselnahme aufgefunden haben. Ich nehme an, dass Sie den Bluterguss in Ihrem Gesicht Rodek zu verdanken haben, und was immer sich wirklich abgespielt hat, so werden Sie doch das Gericht überzeugen können, dass Sie aus Notwehr gehandelt haben.« Berndorf warf einen Blick auf die Zigarettenschachtel, zwang sich dann aber, nicht um eine Gauloises zu bitten. »Ein Teil von dem, was sonst noch war, ist Peanuts. Die Postkarte aus Straßburg zum Beispiel. Oder Ihr Versuch, Vera Vochezers Adresse ausfindig zu machen. Das mit Hartmut Sander aber ist Mord.«
    Er schaute zu ihr hoch, aber ihr Gesicht zeigte keine Regung. »Egal. Was zählt, ist das Kind. Ich will, dass es den Eltern zurückgegeben wird. Jetzt. Ich biete Ihnen an, einen Fluchtwagen zu besorgen. Ich stelle mich Ihnen zum Austausch gegen das Kind als Geisel zur Verfügung.« Er machte eine kurze Pause. »Ein besseres Angebot bekommen Sie nicht mehr.«
    »Kein Auto«, antwortete Judith. »Und warum soll ein alter
Behinderter eine bessere Geisel sein als ein junger?« Unvermittelt lächelte sie. »Können Sie wenigstens schwimmen?«
    »Ich denke schon.« Berndorf begann, sich unbehaglich zu fühlen.
    »Okay«, meinte Judith. »Die Welfs kriegen ihren kleinen Mongie wieder. Ich will nur eines als Gegenleistung. Sie ziehen die Polizisten rund um das Haus ab. Und Sie schicken dieses Polizeiboot da draußen weg. Bei dem Sturm, der aufzieht, sollten die sowieso anderes zu tun haben. Und wenn das geschehen ist, werden Sie mir helfen, ein Schlauchboot ins Wasser zu bringen. Sie werden mich sogar ein Stück weit begleiten.« Wieder zeigte sie ihr kurzes, kleinzähniges Lächeln. »Angst brauchen Sie keine zu haben. Wenn Sie es nicht sehr dumm anstellen, werden Sie nicht ertrinken.«
     
    Miteinander reden ist nie ein Fehler, dachte Schweitzer. Der Sturm nahm ihm fast den Atem und sprühte ihn mit Gischt ein. Er stand in einem Hauseingang und starrte in die Dunkelheit hinüber zu dem Haus mit den heruntergelassenen Jalousien. Spärlicher Lichtschein drang durch die Ritzen. Er wandte sich zu der Ulmer Kommissarin und schrie ihr ins Ohr. »Die reden gewaltig lange.«
    »Hauptsache, die Frau dreht nicht hohl«, schrie Tamar zurück. Sie steckte in einer ausgeliehenen Lederjacke der Friedrichshafener Polizei und hatte den Kragen zum Schutz vor dem Sprühregen hochgeschlagen.
    Schweitzers Funksprechgerät krächzte. Er meldete sich. »Für Sie«, sagte er zu Tamar. »Es ist Berndorf.«
    Tamar nahm das Gerät und drehte sich zu der Haustür, um den Wind besser abzuschirmen.
    »Sind Sie okay?«, fragte sie.
    »Es ist alles okay«, antwortete Berndorf. »Das Kind schläft gerade. Sie werden es noch in der Nacht holen können. Wir werden Sie über Handy verständigen, wenn es so weit ist.«
    Tamar runzelte die Stirn. Auf welchen Deal hatte sich Berndorf eingelassen?

    »Es ist eine Bedingung dabei«, fuhr er fort. »Alle Polizei muss abgezogen werden, auch das Polizeiboot draußen.«
    »Kein Fluchtwagen?«
    »Kein Fluchtwagen.«
    »Und das Kind kann noch in der Nacht abgeholt werden. Heißt das, dass jetzt Sie die Geisel sind? Und dass diese Verrückte mit Ihnen über den See abhauen will? Weiß sie nicht, was auf dem See los ist?«
    »Wir müssen

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