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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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verschwindet?«
    »Zum Glück nicht.«
    »Ist von Ihnen oder Ihren Mitarbeitern in letzter Zeit jemand beobachtet worden, der sich in der Nähe Ihres Firmengeländes oder ihrer Baustellen zu schaffen gemacht hat?«
    »Nein«, antwortete Gföllner. »Wir haben auf so etwas ein Auge. Seit dieser Geschichte in Wiesbrunn erst recht.«
    Tamar sah sich in dem Büro um. Wäre nicht der Computer gewesen, hätte man meinen können, seit Jahrzehnten sei hier nichts mehr verändert worden. An den Wänden standen Rollschränke aus braungelb verfärbtem Fichtenholz. Über einem von ihnen hingen Porträtfotografien in Rahmen aus schwarzem Holz. Die größte von ihnen zeigte einen rundgesichtigen Mann in der Tracht eines Zimmermanns. Die Aufnahme schien aus den Vierzigerjahren zu stammen. Eine zweite Fotografie zeigte den heutigen Firmenchef bei einem Richtfest. Neben ihm stand, mit verschlossenem Gesicht und gut einen Kopf größer, ein junger Mann mit geduckter Körperhaltung.
    »Ihr Sohn?«, fragte Tamar.
    »Wer?«, entgegnete Gföllner. Tamar deutete auf die Fotografie. »Ach das«, sagte der Unternehmer. »Ja, das ist Markus. Mein Sohn. Warum fragen Sie?«
    »Ich dachte nur«, sagte Tamar. »Eigentlich wollte ich Sie bitten, mir das Briefpapier zu zeigen, und die Briefumschläge auch, die Sie in der Firma benutzen.«
    Gföllner runzelte die Stirn. Dann warf er Tamar einen Blick zu, in dem Zorn und Unwillen aufglommen, und erhob sich. Schlurfend ging er zu einem der Rollschränke und öffnete ihn. In den Fächern standen Kartons mit Briefbögen, Rechnungsformularen, Arbeitszetteln und Briefumschlägen.
    Auch Tamar war aufgestanden und ihm gefolgt. Ohne weitere Umstände griff sie in den Karton mit den Umschlägen und holte sich einen heraus. Er war kleinformatig, ohne Sichtfenster und aus bräunlichem Billigpapier, dessen oberer Rand vom Lichteinfall verfärbt war.
    »Das sind die Briefumschläge, die Sie benützen?«

    »Ja«, antwortete Gföllner, »sind sie Ihnen nicht fein genug? Wissen Sie, wir sind Maurer. Uns genügt das so.«
    Tamar sah ihn ruhig an. »Wir ermitteln in einem Mordfall. Deshalb muss ich Sie auch bitten, mit uns in die Polizeidirektion zu kommen.« Leissle, der Beamte in Uniform, der die ganze Zeit das Gespräch schweigend verfolgt hatte, trat unauffällig neben Gföllner.
     
    Der Flur führte an einer Fensterfront mit grün gestrichenen Metallstreben vorbei. Es roch nach professionell organisierter Sauberkeit und jener Trübsal, zu deren Aufhellung das Personal in weiße Dienstkleidung gesteckt werden musste.
    Die Frau, die den Gang herabschritt, war mittelgroß. Sie hatte kurz geschnittenes braunes Haar mit einer grauen Strähne darin und trug ein Kostüm in braunen Farbtönen. Sie hatte die Nacht erst am Telefon und dann auf dem Flughafen verbracht; wer genau hinsah, konnte ihre Anspannung an den Fältchen ablesen, die sich um ihre grünen Augen abzeichneten. Barbara Stein war noch am Abend zuvor von Tamar verständigt worden. Berndorf habe einen Unfall gehabt und sei ins Krankenhaus gebracht worden, hatte Tamar am Telefon gesagt und eilends hinzugefügt, es bestehe keine Lebensgefahr. Barbara war sofort der Unterton von Besorgnis und Ratlosigkeit aufgefallen, der in Tamars Stimme durchklang, und hatte dann rasch herausbekommen, dass es sehr wahrscheinlich ein vorsätzlich herbeigeführter Unfall gewesen war.
    Vor einem der Krankenzimmer saß ein uniformierter Polizist. Das wird immer unheimlicher, dachte sie. Ihr fiel die Geschichte von neulich ein. Berndorf hatte für einen altersschwachen Staatsanwalt Polizeischutz angeordnet, aber der Mann, vor dem der Staatsanwalt geschützt werden sollte, zog einen Talar an und marschierte freundlich grüßend am Wachhabenden vorbei zu dem Alten ins Zimmer, um ihm sein Rasiermesser anzusetzen. Daran werde ich Berndorf jetzt besser nicht erinnern, dachte sie und trat auf den Polizisten zu, der sofort aufstand. Sie zeigte ihren Reisepass. »In Ordnung«,
sagte der Polizist, »man hat mir gesagt, dass Sie kommen werden.«
    Das Zimmer war hell und roch süßlich. Es standen zwei Krankenbetten darin, das eine war leer, in dem anderen lag etwas, das nach einem hochgestellten Bein in einer Gipsschale aussah. Zu dem Bein gehörte ein Mann, der ihr langsam den Kopf zudrehte. »Träume ich?«, fragte Berndorf.
    Barbara trat zu ihm und küsste ihn zart auf den Mund. »Ich habe dich nie je so geliebt . . .«. Für einen kurzen Augenblick ließ sie ihre Wange auf der seinen

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