Schwemmholz
sonst.
In der Pauluskirche waren die leeren Flaschen aufgeräumt und das Suppengeschirr gespült. Was von den Kuchen übrig
geblieben war, hatte der Mütterkreis in den Kühlschränken verstaut, zusammen mit den Saitenwürsten für den morgigen Erbseneintopf. Die Bläser hatten ihre Noten eingesammelt, und der Abfall war zusammengekehrt. Es war, soweit Rübsam es überblicken konnte, alles an seinem Platz.
Mit einer Ausnahme.
Der Vorsitzende des Kirchengemeinderats schlummerte entrückt in einer hinteren Kirchenbank. Dort konnte er schlecht bleiben. Rübsam weckte ihn sanft, aber mit Nachdruck.
»Wir fahren jetzt nach Haus, Herr Vogler«, sagte er. »Das heißt, ich fahr. Morgen bring ich Ihnen dann Ihren Daimler wieder.«
Berndorf startete seinen Citroën und fädelte sich auf der Neuen Straße ein. Über den Bismarckring fuhr er zum Blaubeurer Kreisel und von dort über die Erhardbrücke. Im Radio kamen Nachrichten. In Rheinland-Pfalz hatte der Ministerpräsident vorgeschlagen, die Arbeitnehmer sollten in den nächsten beiden Jahren auf Lohnerhöhungen verzichten, und Daimler stellte ein neues Sportcoupé der extrateuren Sonderklasse vor, irgendetwas mit Flügeltüren. In Stuttgart stand eine Kabinettsumbildung an. Der Minister, der die Spende für eine Papst-Audienz aus der Portokasse genommen hatte, würde wohl seinen Hut nehmen müssen.
Berndorf schob die nächstbeste Kassette in den Recorder. Der Nachrichtensprecherin schnappte der Ton weg. »I’m an easy rider« schluchzte Johnny Cash aus den Lautsprechern. Berndorf verließ die Karlstraße, fuhr durch die Unterführung der Heidenheimer Eisenbahnlinie und zog den Citroën scharf nach links auf die Straße, die zu seiner Wohnanlage führte.
Er freute sich auf einen stillen Abend, auf ein Telefonat mit Barbara, auf Lesevergnügen mit Lichtenberg.
Als er den Kühler des Lastwagens hoch über sich sah, war es schon zu spät. Berndorf spürte einen harten, kurzen Schlag. Glas splitterte, der Citroën rutschte zum Straßenrand, wurde
immer weiter weggeschoben. Krachend verbog sich Blech, die Seitentür knickte nach innen. Berndorf hing im Sicherheitsgurt. Das Blech schob sich auf ihn zu.
Das Handschuhfach war aufgesprungen. Der Lastwagen setzte zurück. Im Handschuhfach lag Berndorfs P5, er hatte sie nach dem Schießtraining dort gelassen. Der Motor des Lastwagens heulte auf, Berndorf lud durch, stieß mit dem linken Ellbogen die Glassplitter weg, die vom Seitenfenster geblieben waren, riss die Waffe hoch und schoss blindlings auf das Fahrerhaus.
Blinkend und lichthupend schob sich ein Daimler vor den Citroën, oder was davon übrig geblieben war. Der Lastwagen drehte ab und röhrte mit aufheulendem Motor stadtauswärts. Johannes Rübsam fuhr den Daimler zur Seite. Dann stieg er aus und ging zu dem Citroën. Die Fahrertür ließ sich nicht öffnen.
»Können Sie mich verstehen?«, sagte er zu dem Mann, der – den Kopf zurückgelehnt – mit geschlossenen Augen am Steuer saß. Langsam öffneten sich die Augen. Der Mann hatte eine Pistole in der Hand, die er vorsichtig neben sich legte. Dann holte er mühsam ein Handy aus seiner Jackentasche und reichte es Rübsam.
»Wählen Sie 110.« Langsam kippte sein Kopf nach vorne auf das Lenkrad.
Samstag, 17. April
Schaffranek nahm den Topf mit dem gekochten Pansen vom Herd und ging damit zur Küchentür. Er öffnete sie mit dem Ellbogen und scheuchte die beiden Hunde von der Schwelle, die schweifwedelnd dort gewartet hatten. Dann trug er den Topf über den asphaltierten Hof zum Fressplatz. Ajax und Türk folgten ihm. Er füllte die beiden Futternäpfe, zuerst für Ajax, dann für Türk. Es waren zwei Schäferhund-Mischlinge, der Chef hatte sie angeschafft, seit die Disco zwei Querstraßen weiter das Gesindel anzog. Die Pächter wechselten, der Name der Disco auch, mal hieß sie »69«, jetzt nannte sie sich »Fragezeichen«, aber das Gesindel war immer das gleiche.
Es war ein frischer Morgen. Schaffranek ging über den weiträumigen Bauhof zurück, vorbei an den Hallen, in denen die Lastwagen und die Baumaschinen abgestellt waren. Aus dem Firmenbriefkasten holte er die Zeitungen und die Post und trug den Stapel in das Hausmeisterbüro, um das Werbematerial auszusortieren. Gföllners Daimler war bereits vor dem Chefbüro geparkt. Wenn die Hunde frei liefen, ließen sie nur den Chef und seinen Sohn auf das Firmengelände. Sonst war samstags niemand auf dem Bauhof, nicht in diesen Zeiten.
Das
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