Schwemmholz
ausnehmend kräftig.«
»Auch dann waren es zwei«, antwortete Berndorf. »Einer hat sich vergewissert, dass niemand in der Nähe des Justizgebäudes unterwegs ist. Dann erst hat der andere den Wagen bis zur Haupttreppe fahren und die Leiche ausladen können.«
Tamar und Berndorf stiegen vorsichtig den Hügel hinauf, bis sie zu einer Holzbank kamen. Von oben sah man Äcker und Hügel, den Kirchturm von Wiesbrunn und die Straße. Auch das Gras unterhalb der Bank war niedergetreten. Aber es lagen keine Kippen umher und auch keine aufgerissene Bierdose, und nirgends klebte Kaugummi.
»Unser Mörder ist ein disziplinierter Mann«, sagte Berndorf. »Einer, der Warten gelernt hat.«
Die Jazz-Gruppe des Posaunenchors hatte »Sometime I feel like a motherless child« intoniert, die Mädchengruppe sprach Fürbitten für die hungernden Kinder und die vielen Tiere in Not, die Vertreterin des Sozialdezernenten richtete die Grüße der Stadt aus und überreichte einen Scheck über 500 Mark, die Nudelsuppe war gefragt, die Erbsensuppe weniger, für die Männer aus dem Übernachtungsheim gab es Kaffee oder – wenn sie es beim Kirchenältesten Vogler versuchten – auch ein Bier, Johannes Rübsam hielt keine Predigt und las auch keine Zahlen aus dem Armutsbericht vor, sondern hieß einfach alle Besucher willkommen, die Jazz-Bläser gingen zu »Roll Jordan, roll« über, und wenn die Bläser nicht bliesen, sondern sich ein Bier genehmigten, diskutierte Vogler mit einer der Kirchengemeinderätinnen, einer Zahnarztgattin, darüber, was der Herr Jesus wohl zu diesem Vesper-Gottesdienst gemeint hätte. Rübsam hörte es nur mit halbem Ohr, doch leicht besorgt. »Das ist ja alles ganz nett«, sagte die Kirchengemeinderätin, »aber glauben Sie wirklich, dass wir im Haus Gottes nun auch Bier ausschenken müssen?«
»Sie vergesset«, sagte Vogler und untermalte seinen Gedanken mit dem Zeigefinger, »Sie vergesset, dass der Herr Jesus beim Abendmahl ja auch kein Apfelsaftschorle und schon gar keinen Malventee ausgeschenkt hat, obwohl man es nicht glauben möcht’, wenn man bei der Evangelischen Akademie in Bad Boll eingeladen ist.«
Es war Abend geworden, als Tamar mit Berndorf in den Neuen Bau zurückkam. Auf der Bank in der Revierwache hockten mürrisch zwei Männer, von denen der eine einen schmutzigen Verband auf dem Kopf hatte und der andere unter seiner Lederweste bis zum Hals tätowiert war.
»Eine Streife hat die beiden Herren vorhin gebracht«, sagte der Schichtführer zu Tamar. »Die Kollegen haben sie in einer Kneipe in der Oststadt aufgesammelt. Ich glaube, sie sollten zu Ihnen gebracht werden.«
»Ach ja«, sagte Tamar und wandte sich Berndorf zu. »Das
sind Shortie und Tanko. Sie wissen, die beiden Herren haben gestern im ›Deutschen Kaiser‹ Mau-Mau gespielt. Oder 66. Und dann hat es ein wenig Zoff gegeben.« Sie sprach wieder zu den beiden Männern. »Wir kennen uns ja. Seit der Sache mit der alten Frau, die plötzlich die beiden Herren überfallen hat. Die alte Frau die Herren, nicht umgekehrt.«
Ein kleiner wieseliger Mann mit einer Weste, wie sie Daimler für die Kunden der A-Klasse ausgegeben hat, drängte sich in die Wache und blieb neben Berndorf stehen. Es war Wehlich vom Raub- und Diebstahlsdezernat. Er deutete auf Shortie.
»Den schönen Turban da – seit wann hat er den?«
Tamar sah auf. »Seit vorgestern. Seit ihn die alte Frau überfallen hat. 77 ist die Dame, und richtet junge Männer so zu.«
»Wenn ihr mit ihnen fertig seid, schickt ihr mir die beiden?« , fragte Wehlich. »Es liegt eine Beschreibung vor, die auf sie passt, vom Turban mal abgesehen. Aber da hatte er ihn noch nicht. Außerdem ist es auch eine Geschichte mit einer alten Dame. Sie haben ihr am Dienstag die Handtasche mit ein paar Hundert Mark abgenommen. Komisch. Dabei war die erst 75.«
»Damit hab ich nichts zu tun«, begehrte Tanko auf.
»Jedenfalls wissen wir jetzt, wo das Geld für den Vorstadt-Poker herkam«, sagte Tamar.
»Ich glaube, ihr macht das allein«, sagte Berndorf. »Für einen alten Mann wie mich war die Nacht zu kurz.«
Tanko und Shortie hatten Veihle nicht umgebracht. Der Kommissar war sich sicher. Auch wenn es zwei Leute gebraucht hatte, um die Leiche der Justitia zu Füßen zu legen. Ein Profi, mindestens, war dabei gewesen. Einer, der sich aufs Töten verstand. Tanko und Shortie verstanden sich darauf, einer alten Frau die Handtasche abzunehmen oder ein leeres Haus abzufackeln. Auf nichts
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