Schwemmholz
»Tagblatt« schrieb von einem Toten, den man vor dem Justizgebäude gefunden hatte. Es war einer von den Glatzköpfigen, eben jener, der angeblich die italienische Baustelle angezündet hatte. Stirnrunzelnd las Schaffranek einen Artikel, der eingerahmt war und in dem etwas von einem Racheakt der
Mafia stand, die ihre Krakenarme nun schon bis an das Portal des Ulmer Justizgebäudes ausstrecke.
Schaffranek hielt das alles für übertrieben. Die Italiener sollten sich nicht so haben. Der arme Teufel von einem Gastarbeiter wird einem Mädchen in Wiesbrunn schöne Augen gemacht haben, und das hat deren Freund nicht gefallen. Er nahm die Werbeprospekte heraus, faltete das »Tagblatt« wieder zusammen und trug den Stapel über den Korridor ins Chefbüro.
Klopfen musste er nicht. Er trat ein. »Morgen, Chef.«
Jakob Gföllner jun. – das jun . hatte er beibehalten, seit er vor 35 Jahren das Unternehmen von seinem Vater übernommen hatte – war allein. Er folgte auf einem Bildschirm den Rubriken eines Kalkulationsprogramms und gab, ohne hochzusehen, den Gruß zurück. In dem kleinen Transistorradio neben dem Computer klimperte eine bayerische Stub’nmusi.
»Der Junior nicht da?« Der Sohn von Gföllner jun. war vor anderthalb Jahren in die Firmenleitung eingetreten.
»Ich hab ihn weggeschickt«, sagte Gföllner. »Er soll sich umschauen. Wir müssen mit der Zeit gehen.«
Schaffranek nickte. »Es ist aber nicht alles gut, was die Zeit so bringt«, meinte er dann. »Da haben sie jetzt vor dem Gerichtsportal einen Toten gefunden. Das ›Tagblatt‹ schreibt, es wäre die Mafia gewesen.«
»Unsinn«, sagte Gföllner. Schaffranek nickte wieder. »Also dann«, sagte er und ging zurück in sein Büro. Durch das Fenster sah er, dass ein Polizeiwagen vor der Einfahrt hielt. Eine schlanke und groß gewachsene Frau stieg aus, kam zur Eingangstür und klingelte. Ein Polizist in Uniform folgte ihr. Schaffranek meldete sich über die Sprechanlage. Die Frau nannte einen Namen, den er nicht verstand. Sie wolle Herrn Gföllner sprechen. Schaffranek bat sie, einen Augenblick zu warten, und rief Gföllner an.
»Chef, da ist jemand von der Polizei. Sie wollen zu Ihnen.« Es wird wieder wegen der Disco sein, dachte er.
Gföllner zögerte kurz. »Lass sie rein. Und pass auf die Hunde auf.« Schaffranek trat auf den Hof. Die beiden Rüden waren
bereits auf die Besucher aufmerksam geworden und hatten sich vor dem Stahlgitter des Eingangstors eingefunden. Ajax stellte das Fell, Türk knurrte. Schaffranek schickte die Hunde, die nur widerstrebend folgten, zu ihrem Schlafplatz und ließ die Frau und den Polizisten herein. Der Polizist war zwei Köpfe kleiner als die Frau, die Jeans trug und ein Jackett. Schaffranek glaubte nicht, dass Ordnungshüter so aussehen sollten. Er führte sie in das Verwaltungsgebäude und über den Korridor zu Gföllners Büro. Der Chef stand schwerfällig auf und sah misstrauisch zu der Frau hoch.
»Mein Name ist Wegenast, ich bin Kriminalkommissarin. Dies ist Polizeihauptmeister Leissle«, sagte die Frau. Schaffranek ging in sein Büro zurück.
Tamar wartete, bis der Hausmeister die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Ich hätte gerne etwas über den Verbleib eines Lastwagens gewusst, der auf Ihre Firma zugelassen ist«, sagte sie unvermittelt und nannte das Kennzeichen.
Gföllner antwortete nicht sofort, sondern bat die beiden Beamten, auf den Holzstühlen vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen. Dann setzte er sich selbst, zog eine Mappe mit Schriftstücken zu sich her und schlug sie auf.
»Ich dachte es mir schon«, sagte er dann und schaute kurz zu Tamar hoch. »Es ist ein Siebentonner, und eigentlich haben wir gedacht, es wäre die Polizei, die uns sagen kann, was damit los ist.« Er machte eine kurze Pause. »Der Lastwagen ist uns in der Nacht zu gestern gestohlen worden, und wir haben das auch sofort der Polizei gemeldet.«
»Das wissen wir«, sagte Tamar. »Aber wir verstehen nicht, wie man einen Lastwagen von Ihrem Gelände stehlen kann. Das ist ja besser bewacht als die Staatskanzlei.«
»Der Lkw war die Nacht über auf unserer Baustelle«, antwortete Gföllner. »Normal hätte der Polier ihn in den Bauhof zurückgebracht. Aber er braucht den Wagen gleich morgens früh. Deswegen lässt er ihn die Nacht über draußen, wenn er nicht sowieso aufgetankt werden muss. In unserer Branche kann man sich keine überflüssigen Fahrten leisten.«
»Kommt das öfter vor, dass ein Lastwagen
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