Schwemmholz
ihn wässerig an. »Ich verstehe nicht, wie es zugehen kann«, fuhr er fort. »Aber Sie haben Glück. An dieser merkwürdigen Geschichte mit Gföllner ist vermutlich nichts. Aber darauf kommt es auch gar nicht an. Wichtig ist, dass er Ärger hat. Für uns genügt das. Für die Herren in Stuttgart auch. Da hat niemand Lust, in irgendetwas verwickelt zu werden, womöglich noch mit der Mafia. Da soll es Leute geben, die springen im Viereck, wenn sie etwas Italienisches hören.«
Kaufferle machte eine Pause und betrachtete einen rotbraunen
Saucenfleck auf dem Tischtuch vor ihm. »Ich glaube nicht, dass die Stadt die Sporthalle von Gföllner bauen lässt, solange diese Geschichte nicht geklärt ist«, fuhr er fort. »Wir wiederum sind an diesem Projekt sehr interessiert. Wenn Sie den Auftrag bekommen, ist es gut für Sie und gut für uns.«
»Na also«, sagte Welf.
»Da ist noch eine Kleinigkeit«, sagte Kaufferle. »Sorgen Sie dafür, dass das Projekt Ostbahnhof in die Gänge kommt. Ein weiterer Zeitverlust lässt sich nicht finanzieren.«
Es war Abend geworden. Berndorf war noch immer oder schon wieder in der Cafeteria. Morgen würde er entlassen werden und musste von da an zusehen, wie er in seiner Wohnung zurechtkam, in der ersten Zeit vielleicht sogar mithilfe eines Rollstuhls. In einigen Wochen würde man ihm einen Teil des Metalls entfernen, das sein linkes Bein zusammenhielt, Anfang des nächsten Jahres den Rest. Nachdenkliche Tage warteten auf ihn, was bedeutete, dass ihm die Decke auf den Kopf fallen würde. Sobald es mit der Humpelei besser ging, würde er vielleicht doch nach Berlin fliegen.
Nur war damit keines seiner Probleme gelöst. Er wusste weder, wer den Brandanschlag auf den italienischen Wohncontainer in Auftrag gegeben hatte, noch hatte er eine Vorstellung davon, wer Veihle umgebracht hatte und warum. An den Kerl, der seinen Citroën – und um ein Haar ihn selbst auch – zu Schrott gefahren hatte, wollte er erst gar nicht denken.
Vor allem aber wusste er nicht, wie sein eigenes Leben weitergehen sollte. Zu Bruch gegangen war nicht nur sein Bein. Irgendetwas hatte sich verändert. Was genau es war, blieb im Dunkeln. Als er zu keinem Ergebnis kam, ließ er das Grübeln bleiben und wandte sich wieder Lichtenberg zu.
»Wir wissen von unserer Seele wenig und sind sie selbst. Für wen gehört es denn, sie zu kennen, mehr als uns selbst, oder warum ist noch etwas in ihr da, das wir selbst nicht wissen? Dieser letztere Umstand ist, dünkt mich, ein sicherer Beweis, dass wir noch zu andern uns unbekannten Absichten dienen.
Wäre es die einzige Bestimmung unseres Daseins, uns von unseren Nebensubstanzen kitzeln oder quälen zu lassen, so sehe ich nicht ab, warum wir uns unbekannt bleiben mussten.«
Berndorf lehnte sich zurück. Sein Bein juckte. Wenn wir etwas zu erkennen vermögen, dann vor allem uns selbst. Sagt Montaigne. Dieser da dreht es um. Es ist nicht die Selbsterkenntnis, sondern der blinde Fleck in uns, der über uns hinausweist. Ein Gottesbeweis? Oder die Einsicht, dass Einsicht nur möglich ist unter Berücksichtigung einer prinzipiellen Unschärfe?
Jemand stand neben seinem Tisch. »Ich wollte Sie nicht stören«, sagte Rübsam artig. »Aber der Herr Vochezer sagte mir, dass Sie vermutlich hier seien.«
Berndorf lud ihn ein, Platz zu nehmen. Rübsam setzte sich und warf einen unbefangenen Blick auf den Lichtenberg-Band.
»Er handelt gerade von den letzten Dingen«, sagte Berndorf. »Wenn ich es recht verstanden habe, beweist er Gott aus unserem Nichtwissen über die Seele. Ich fürchte nur, dass Lichtenbergs Gott am Ende wie Sigmund Freud aussieht.«
»Das fände ich aber sehr konventionell«, antwortete Rübsam. »Ich dachte immer, she is black .«
In seinem kleinen Büro hatte Blocher die Männer des RD, des Rauschgiftdezernats, um sich versammelt.
»Diese Disco da draußen im Industriegebiet, Sixty-Nine hieß das bis vor ein paar Monaten – die heißt doch jetzt ›Fragezeichen‹, richtig?«
Sein Assistent Delavigne nickte. »Dem neuen Pächter ist kein Name eingefallen. Bisher war der Laden aber einigermaßen sauber.«
Blocher wischte den Einwand mit einer Bewegung seines dicken Kopfes weg. »Von diesen Discos ist keine sauber. Und das ›Fragezeichen‹ schon gar nicht. Ein Vöglein hat es mir gezwitschert.« Mehr mussten seine Männer nicht wissen. »Wir
werden es aufmischen. Aber Vorsicht! Es ist ein heißer Job. Das heißt: Schutzwesten für alle.«
Kübler
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