Schwemmholz
Kopf.
»Auch recht«, fuhr er fort. »Also gehört hab ich nichts von ihm. Aber geschrieben hat er. Eine Ansichtskarte. Wenn Sie mitkommen, zeige ich sie Ihnen.« Aus irgendeinem unappetitlichen Grund grinste er.
»Nur zu«, meinte Tamar. Sie folgte ihm zum Haus, in eine Wohnung im Erdgeschoss, die nach ungewaschenen Socken roch. Vom Flur aus ging es in ein kleines Büro mit einem von Brandflecken übersäten Schreibtisch und einem Rollschrank. An der Wand hing ein Poster einer Blondine, die sich gerade einen Vibrator zwischen die Schenkel schob.
»Hier ist es schon«, sagte der Mann und zog zwischen Rechnungen und Prospekten eine Ansichtskarte mit dem beleuchteten Straßburger Münster hervor. »Ist gestern gekommen.«
Tamar nahm die Karte und las den Text. »Aus dem schönen Elsaß Urlaubsgrüße an die Kumpel. Arbeitet mal schön. Euer Stefan. PS: Stuttgart ist scheiße.« Tamar sah auf den Poststempel. Die Karte war am Donnerstag aufgegeben worden.
»Die Karte nehme ich mit«, sagte sie dem Hausmeister. »Sie ist Beweismaterial. Wollen Sie eine Quittung?« Der Mann zuckte nur mit den Schultern. Dann wollte sie Rodeks Zimmer sehen. Sie gingen ein Stockwerk hoch, in ein Zimmer, vom dem der Hausmeister behauptete, es sei ein Appartement. Möbliert war es mit einem schmalen Bett, einem Kleiderschrank, einem Raumteiler-Regal und zwei kleinen braunen Cordsesseln, die auf Fernseher und Videorecorder ausgerichtet waren. Hinter einem gemusterten Vorhang befand sich eine Kochnische, eine zweite Tür führte zu Dusche und WC.
Im Kleiderschrank hingen ein Wintermantel, ein dunkler Anzug und eine Motorradkombination. In den Seitenfächern waren, sorgfältig zusammengelegt, mehrere Garnituren olivfarbener Unterwäsche und Boxershorts gestapelt. Die Kochnische wirkte aufgeräumt und weniger verdreckt, als es Tamar in einem Jungmänner-Appartement erwartet hätte. Der Kühlschrank war leer und abgeschaltet. In dem Regal standen nur wenige Bücher, zumeist Bildbände über den Zweiten Weltkrieg und die Vietnam-Kriege, dazwischen Muhammad Alis Memoiren. Auf den unteren Regalbrettern stapelten sich mehrere Stöße einer Boxsport-Illustrierten und eines Hochglanzmagazins, das »II mercenario« hieß und von Neuheiten auf dem Waffenmarkt handelte.
Das einzige Poster zeigte eine Aufnahme aus der Zeit des Kriegsendes. Vor einer Ruinenlandschaft griff ein Soldat nach einer Frau in einem geblümten Rock. Die Frau versuchte davonzulaufen. Andere Soldaten standen um sie herum und lachten.
Tamar warf noch einen Blick in das winzige Bad. Der Toilettenschrank war leer bis auf ein Päckchen Rasierklingen, ein Mittel zur Desinfektion von Wunden und eine Dose Vaseline. Sie hob leicht die Augenbrauen.
Berndorf schenkte Tee ein, das linke Bein auf dem Schachtisch abgestützt. Kanne, Tassen und Gebäck waren auf einem Teewagen angerichtet. Ein leicht behinderter, aber durchaus auf Formen achtender älterer Herr, dachte Tamar.
Bisher komme er ganz gut zurecht, hatte er berichtet, von ein oder zwei Problemen abgesehen. »Das eine ist die Witwe Fröschle – Barbara hat Rübsam angestiftet, mir eine Haushaltshilfe zu besorgen. Und jetzt sitz ich da. Witwe Fröschle ist in meinem Alter, sehr rüstig und fest entschlossen, meine Wohnung nach ihren Vorstellungen umzugestalten. Glückcherweise ist sie meinem Whisky nicht abgeneigt. Das trägt zur Entspannung bei, und ich hab einen Abnehmer.«
Na, dachte Tamar, ob die Witwe sich wirklich mit dem Whisky zufrieden gibt? »Sie sprachen von zwei Problemen.«
Berndorf breitete verlegen beide Hände aus. »Ich habe Hemmungen, mich in einem Auto fahren zu lassen. Das heißt – Hemmungen sind es nicht. Es ist eine empörend lächerliche, aber unbezwingbare panische Angst.«
Diese Angst hatte ihn angefallen wie ein wildes Tier. Als er sich in der Klinik verabschiedet hatte – zuerst von Eugen Vochezer, der ihm das Versprechen abnahm, ihn in Gauggenried zu besuchen, dann von den Schwestern –, da hatte er sich noch gelöst und heiter gefühlt, wie von einer schweren Last befreit. Passiert war es, als der Taxifahrer die Reisetasche eingeladen hatte und ihm in den Wagen helfen wollte. Berndorf hatte sich, wie im Krampf, am Türrahmen festgehalten, plötzlich
war es wieder Freitag, er saß in seinem Citroën und sah zu, wie sich die Tür nach innen wölbte.
»Ist Ihnen nicht gut?«, hatte der Taxifahrer gefragt. Berndorf hatte durchgeatmet und sich mit gesammelter Willenskraft eingeredet,
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