Schwemmholz
seine Uhr. Es war kurz vor zehn Uhr, möglicherweise würde er Frentzel um diese Zeit erreichen. Er humpelte zu seinem Schreibtisch, die Zeitung unter den Arm geklemmt, und wählte den Anschluss des Gerichtsreporters.
Frentzels Stimme klang etwas kratzig. »Meinen Glückwunsch«, sagte Berndorf. »Ihr Blatt hat meinen Kollegen Blocher ja sehr ansprechend gewürdigt.«
»Aufrichtigen Dank«, antwortete Frentzel. Es klang so, als wisse er nicht so recht, ob er auf den Arm genommen werden solle. »Gelobt wird unsereins selten oder nie. Aber was verschafft mir die Ehre?«
»Das Bild, freilich, ist etwas krass«, fuhr Berndorf fort. »Wenn die Kinder das sehen, könnten sie Alpträume bekommen. Oder die schwangeren Frauen versehen sich daran.«
»Eh!«, meinte Frentzel und versicherte, dass er für die Bildauswahl nicht zuständig sei.
»Eine Verständnisfrage«, fuhr Berndorf fort. »Sie schreiben, die Brandstiftung sei möglicherweise ein Racheakt, und zwar für den Anschlag auf die Baustelle der Edim SA in Wiesbrunn. Ist das Ihre Interpretation, oder wer hat Ihnen das gesagt?«
»Unter uns katholischen Pfarrerstöchtern: Das habe ich von Ihrem Chef höchstpersönlich«, antwortete Frentzel. »Warum fragen Sie?«
»Weil Sie damit dem Herrn Gföllner eine Täterschaft zuschreiben, bei der ich mich dreimal fragen würde, ob ich das so verantworten kann«, meinte Berndorf.
»Das soll der Herr Gföllner dann aber mit dem Neuen Bau diskutieren, nicht mit mir«, gab Frentzel zurück. »Aber vermutlich hat dieser Herr noch anderen Ärger. Lesen Sie mal die Meldung links neben unserem Bericht.«
Berndorf blickte auf die Zeitung, die er vor sich auf den Schreibtisch gelegt hatte. Unter der Überschrift »Jörg Welf baut Großsporthalle« las er dort:
»Die Entscheidung für den Bau der Großsporthalle ist gefallen. Der Ulmer Architekt und Bauunternehmer Jörg Welf, der schon die Planung für die Halle erstellt hat, wird sie auch als Generalunternehmer schlüsselfertig errichten. Einen entsprechenden Beschluss hat der Technische Ausschuss des Ulmer Gemeinderats gestern in nichtöffentlicher Sitzung gefasst, wie Baudezernent Dionys Klotzbach unserer Zeitung kurz vor Redaktionsschluss bestätigt hat. ›Dies ist ein großer Schritt nach vorn für Ulm und den Ulmer Sport‹, kommentierte Klotzbach die Vergabe.«
So schnell geht das, dachte Berndorf. »Danke für den Hinweis«, sagte er ins Telefon. »Falls Sie übrigens die Sonne Ihrer Güte vollends über einem alten Kiberer aufgehen lassen wollen – könnten Sie mir in Ihrem Archiv heraussuchen, für welche Kapazität und für welche Laufzeit die Deponie Lettenbühl ausgelegt ist?«
»Kein Problem«, antwortete Frentzel. »Nur ist mir der Zusammenhang nicht ganz klar. Wollen Sie dort nach Leichen suchen lassen? Oder haben Sie welche zu entsorgen?«
»Es ist ein rein bürgerschaftliches Interesse an der Frage, wie die Steine in Nachbars Garten kommen. Oder in Nachbars Deponie«, antwortete Berndorf. »A propos. Wenn Sie etwas Spaß haben wollen – fragen Sie doch mal meine Kollegen nach dem anderen Auto, dem, mit dem die Mafiosi entkommen sind. Und wie sie sich das verschafft haben.« Dann legte er auf. Irgendetwas in seinem Kopf wollte sich bewegen. Als
wäre in einem Gewirr grauer Fäden ein kleines Fitzelchen aufgetaucht, das er nur zu greifen brauchte, um alles zu entwirren.
Ein aufkreischendes Jaulen zerriss die Stille. Berndorf schrak hoch. Die Witwe! Sie musste den Staubsauger gefunden haben. Berndorf griff sich das »Tagblatt« und hüpfte mit seinen Krücken auf den Balkon.
Aber das Fitzelchen war weg. Nur noch graues Gewirr, und nirgends auch nur das winzigste Ende eines winzigen Bindfadens.
Dienstag, 11. Mai
»Contadina holt auf, Quattro Stagioni weiter in Führung, Frutti di mare halten sich im Windschatten«, sagte Kuttler und sah die Aufzeichnungen durch, die ihm Krauser gebracht hatte. »Und der Tante geht es auch wieder besser, wie schön, diese Unterleibsgeschichten sind kein Honiglecken.« Er machte eine Pause und blickte Krauser bekümmert an. »Sie haben das sehr gewissenhaft übersetzt, Kollege Krauser, ich hätt’ das nicht gekonnt, und der Herr Polizeirat Englin ist außerordentlich zufrieden. Ganz außerordentlich.«
Krauser blinzelte misstrauisch. Er wusste aus leidvoller Erfahrung, dass immer ein dickes Ende folgte, wenn jemand so mit ihm sprach.
»Es ist nur so«, fuhr Kuttler fort, »wir haben gerade sehr viel Arbeit. Sie wissen
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