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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Jackett-Tasche und las vor: »Wenn eine Erbse in die Mittelländische See geschossen wird, so könnte ein schärferes Auge als das unsrige, aber noch unendlich stumpfer als das Auge dessen, der alles sieht, die Wirkung auf der chinesischen Küste verspüren.«
    »Das ist hübsch«, meinte Barbara. »Aber es ist nicht das, was du gefunden hast. Du hast etwas für deinen Ulmer Fall gefunden. Ich sehe es dir an der Nasenspitze an.«
    »Vielleicht«, sagte Berndorf ausweichend.
    Er ist wieder auf der Jagd, dachte Barbara. Eigentlich will ich, dass er hier bleibt. Aber ich kann ihn nicht aufhalten, und ich will es auch nicht versuchen. Es ist, was es ist. Sie schenkte sich noch eine Tasse Tee ein und nahm sich die Morgenzeitung vor. »Gibst du mir den Sportteil?«, bat Berndorf.
    »Entschuldige.« Barbara nahm sich das Feuilleton heraus und reichte ihm den Rest der Zeitung. Es gibt Rituale der Zweisamkeit, die ich erst wieder lernen muss, dachte sie.
    Die Bombardements im Kosovo gingen weiter, und in Deutschland regten sich die Ärzte, die Rentner, die Bauern,
der Arbeitgeberverband und die Zeitungsverleger vorbeugend auf, weil jedenfalls sie nicht mit Einbußen belästigt werden wollten, nur weil der Regierung und den sozialen Sicherungssystemen das Geld ausging. Im Radsport wurde gedopt, als sei am Mont Ventoux niemals jemand gestorben, Bayern München war deutscher Fußballmeister und in der Zweiten Liga ging es um die Aufstiegsplätze. Die Sportredaktion stellte die verbliebenen Bewerber vor, etwas verblüfft registrierte Berndorf die Schlagzeile »Sparsamer Spatz auf Höhenflug«, der Bericht handelte von der Fußballbegeisterung, die unversehens über die Münsterstadt an der Donau hereingebrochen war. Ein Bild zeigte jubelnde Ulmer Fans, glatzköpfig und mit den ausgestreckten Armen, die in den deutschen Fußballstadien schon wieder so selbstverständlich waren, dass die Polizei beflissen darüber hinwegsah. Hitlergruß? Ham wir nix von gesehen. Was’n das überhaupt?
    »Ich darf mal in Ulm anrufen«, sagte Berndorf und ging ins Arbeitszimmer. Er wählte Tamars Nummer und als sie sich meldete, klang ihre Stimme, als freue sie sich über seinen Anruf: »Sie klingen gut, Chef. Wann kommen Sie zurück?«
    »Das weiß ich nicht so genau«, wich Berndorf aus. »Es ist komisch, aber irgendwie hab ich mir meine Sehnsucht nach dem Neuen Bau brennender vorgestellt.« Die Wahrheit war, dass er in den letzten Tagen nicht nur einen Orthopäden, sondern auch einen Neurologen aufgesucht hatte. Und beide hatte er gefragt, ob sie ihm nicht eine dauerhafte Dienstunfähigkeit bescheinigen könnten.
    »Wir brauchen Sie aber hier«, sagte Tamar streng. Dann berichtete sie, was sich in den letzten Wochen getan hatte. Sie brauchte nicht lange. Im Fall Veihle gab es keine einzige Spur, und die drei Männer, die den Gföllner-Bauhof angezündet hatten, waren vermutlich längst wieder in Kalabrien oder Sizilien. Die Firma Gföllner war aus der Arge Echterdingen ausgeschieden. Blocher hatte nun doch noch Ärger bekommen, aber nicht einmal Kuttler wusste genau, ob es wegen des Auftritts im Industriegebiet war oder einer anderen Sache wegen.
    »Da ist noch etwas«, fuhr sie fort. »Ein Justizbeamter ist verschwunden, weg, in Luft aufgelöst. Der Mann ist unverheiratet, Mitte dreißig, pflichtbewusst bis zum Exzess, ein unscheinbarer Mensch, so unauffällig, dass eigentlich erst sein Fehlen wahrgenommen wird.«
    Eine schemenhafte Erinnerung meldete sich in Berndorfs Hinterkopf. »Wo genau arbeitet er?«
    »In der Geschäftsstelle der Schwurgerichtskammer. Sie müssten ihn aus dem Gerichtssaal kennen. Er führt das Protokoll. Der Mann heißt Sander, Hartmut Sander.«
    »Der Name sagt mir nichts«, meinte Berndorf zögernd. Blass, unscheinbar, unauffällig? Plötzlich sah er die Szene wieder vor sich. Es nieselte, der Mann, der neben ihm aus dem Portal des Justizgebäudes getreten war, zog die Kapuze über das flachsfarbene Haar, sie wechselten ein paar Worte, dann ging der Mann die Stufen zur Straße hinab.
    »Doch«, sagte er schließlich, »ich glaube, ich weiß, wer das ist.« Für einen Augenblick hörten beide dem Schweigen zu. Dann fiel es Berndorf wieder ein, warum er angerufen hatte.
    »Sagen Sie, der SSV Ulm hat doch bald ein Heimspiel?«
    »Soviel ich weiß: ja. Markert hat mir deswegen schon vorgejammert. Ich wusste übrigens nicht, dass Sie auch ein Fan sind.«
    »Schau’n mer mal. Aber mir geht es um etwas anderes. Könnten Sie

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