Schwemmholz
beim nächsten Spiel einen Fotografen hinschicken, der Aufnahmen von den Glatzköpfigen in der Fankurve macht?«
»Ich glaube, das haben wir sowieso vor«, sagte Tamar. »Es gibt inzwischen Ärger mit diesen Knaben. Aber sagen Sie mir auch, was dann mit den Fotos geschehen soll?«
»Bei dem Anschlag auf die Edim SA ist möglicherweise ein weiterer Skinhead beteiligt gewesen«, erklärte Berndorf. »Vielleicht erinnern Sie sich – es hat einen gegeben, der in einer Tankstelle einen Kanister Dieselöl geholt hat. Der Tankwart hat weder Veihle noch Rodek identifiziert. Wir haben es darauf geschoben, dass er sich nicht erinnern wollte. Aber
vielleicht war es wirklich keiner von den beiden. Vielleicht war ein dritter Mann beteiligt.«
»Es hat dich wieder«, stellte Barbara fest, als Berndorf an den Frühstückstisch zurückkehrte. Ihre Stimme klang enttäuscht. »Weiß ich nicht«, wehrte Berndorf ab. »Ich lass nur ein Detail nachprüfen. Vielleicht bringt es etwas. Wenn ich diese Sache da in Ulm abschließen will, muss ich tiefer graben.«
»Ich dachte, du wolltest aufhören? Du hast dir doch deswegen diese Arzttermine geben lassen.«
»Ich will nicht mehr in den Neuen Bau zurück«, antwortete Berndorf. »Ich will mir nie mehr diese Konferenzen antun. Nie mehr diese Trunkenbolde verhören, die einen anderen Menschen anzünden, just for fun, oder weil ihnen jemand Geld dafür gegeben hat. Und die fromm verheulten Gesichter der Frauen, die dem alten Tantchen das Insulin gegeben haben, das es gar nicht brauchte: die will ich auch nicht mehr sehen.«
»Aber trotzdem lässt dich diese letzte Geschichte nicht los.«
»Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun«, wehrte Berndorf ab. »Mit dem geriatrischen Krückstock und meiner Auto-Phobie kann mich ohnehin niemand brauchen. Aber ein oder zwei Dinge will ich doch noch wissen.«
Dann ließ er sich von Barbara die Seiten mit dem Feuilleton geben. Aber die Worte schimmerten vor seinen Augen wie Neugablonzer Kunsthandwerk. Ein Gesprächsfetzen aus dem Telefonat mit Tamar wehte durch seine Gedanken.
Plötzlich fiel es ihm ein. Sander, der abhanden gekommene Gerichtsschreiber, war nicht einfach die Treppen hinuntergegangen. Er hatte sich ihm zugewandt, als ob er ihm etwas sagen wollte. Aber er hatte sich nicht getraut. Oder es sich anders überlegt. Und erst dann war er zur Straße hinabgegangen.
Dienstag, 25. Mai
Der Tankwart war mittelgroß, hatte aufmerksame, flinke Augen und nach hinten gekämmtes schütteres Haar. Tamar stand von ihrem Schreibtisch auf und begrüßte ihn mit Handschlag. »Nett von Ihnen, dass Sie gekommen sind.«
»Na ja«, antwortete er, »ich hab mich schon gewundert, dass Sie nicht früher angerufen haben.« Tamar schaute ihn fragend an. »Einer musste das Öl ja besorgt haben«, erklärte er. »Und von den beiden, die mir im Gerichtssaal gezeigt wurden, war es keiner gewesen. Also war es jemand anderes. Deswegen hab ich gedacht, ihr werdet euch schon noch einmal melden.«
»Es war also nicht so«, meinte Tamar, »dass Sie sich nicht erinnert hätten. Sie haben, wenn ich das richtig verstehe, sogar eine genaue Vorstellung davon, wie dieser Skinhead ausgesehen hat. Das ist schon einmal wichtig.«
»Wir müssen uns Gesichter merken können. Was glauben Sie, wie viel Leute es gibt, die unsereinen übers Ohr hauen wollen.« Das glaube sie ihm gern, sagte Tamar. Dann stand sie auf und ging mit dem Besucher in den Vorführraum, wo ein Diaprojektor und die Aufnahmen bereitgestellt waren, die der Polizeifotograf am Wochenende im Donaustadion gemacht hatte. Der Tankwart nahm Platz, Tamar schaltete den Projektor an und löschte das Licht. Dann setzte sie sich neben ihn, die Fernbedienung für den Projektor in der Hand. In Großaufnahme erschien auf der Leinwand das von der Sonne ausgeleuchtete Gesicht eines jungen Mannes, es sah aus, als ob er johlte oder schrie. Er hatte einen glatt rasierten Schädel, und – für sich genommen – sah sein Gesicht nicht stumpfer und nicht wacher aus als das anderer junger Männer.
»Nein«, sagte der Tankwart. »Er ist es nicht. Bestimmt nicht.« Die nächste Aufnahme zeigte ein breitflächiges, vom Bier oder der Sonne oder beidem gerötetes Gesicht, den Mund zu einem Grinsen verzogen, sodass man die Zahnlücken im Gebiss sah. »Der auch nicht«, sagte der Mann neben ihr.
Es folgte eine lange Reihe von Aufnahmen junger kahl geschorener Männer, lachend oder schreiend, verbissen oder höhnisch, dumpf
Weitere Kostenlose Bücher