Schwemmholz
standen rauchend zwei junge Männer, in einer Ecke lehnte eine dunkelhaarige Frau, auch sie mit einer Zigarette in der Hand. Berndorf hielt sich in der Mitte zwischen ihnen, stellte das Glas mit dem Mineralwasser vor sich auf die Balustrade und beschloss, den Bäumen zuzusehen. Vor sich, im Osten, ahnte man den Lichterschein des nächtlichen Großberlin. Würde er hier leben
können, oder auch nur wollen? Auf dem Weg zur nächsten U-Bahn-Station wäre er, nur einen Block weiter, an einer Eckkneipe vorbeigekommen; zu einer anderen Zeit hätte er nichts dagegen gehabt, dort einzukehren, sich an den Tresen zu stellen und sich, unbeachtet im Rauschen des Kneipen-Geredes, langsam und gründlich zu betrinken.
»Eine Soiree wird nicht dadurch attraktiver, dass man über sie nachdenkt«, sagte eine Stimme neben ihm. Sie gehörte der Frau mit den langen dunklen Haaren. Sie hielt sich noch immer an ihrer Zigarette fest. »Hofmannsthal«, fügte sie hinzu. »Aus dem Zitatenhandbuch für den gehobenen Partygänger.«
»Ah ja«, sagte Berndorf linkisch.
»Oder sollten Sie gar nicht über diesen Abend sinniert haben?«
»Nicht so ganz.«
»Ich dachte, weil Ihnen all das vermutlich ziemlich öde vorkommt.« Sie zog an ihrer Zigarette. »Barbara hat mir gesagt, Sie sind Polizist. Stellen Sie sich vor, ich habe noch nie einen Polizisten richtig kennen gelernt. Ich meine, mit einzelnen Ihrer Kollegen habe ich durchaus schon Bekanntschaft gemacht, jedenfalls kann man es so nennen, auch wenn die Beziehung etwas einseitiger Natur war, wenn Sie mich verstehen?« Berndorf warf einen Blick in ihr Gesicht. Aber es war zu dunkel, um die Augen zu erkennen.
»Bei der Startbahn West waren Sie nicht dabei?«, fragte die Dunkelhaarige. »Nein«, antwortete Berndorf, »an der Startbahn West nicht.« Die Demonstrationen und Prügeleien um den Frankfurter Flughafenausbau hatten in den späten Siebzigerjahren stattgefunden, da war er schon zu alt und saß im falschen oder doch besser richtigen Dezernat, um noch seinen Kopf hinhalten zu müssen. In den späten Sechzigerjahren war das noch anders gewesen, aber Berndorf hatte keine Lust, über seine Zeit auf der anderen Seite jener Barrikade zu reden. Auch wenn er dort Barbara begegnet war. Aber gerade das ging niemanden etwas an.
»Dass Sie keine Parksünder aufschreiben, ist mir klar«, fuhr
die Frau neben ihm fort. »Aber was tun Sie dann? Machen Sie Jagd auf Dealer? Stöbern Sie die Haschisch-Plantage im Wintergarten auf?« Die Dame will ein Spiel spielen, dachte Berndorf. Bullen verscheißern heißt das Spiel.
»Ach nein«, sagte sie dann, »wie dumm von mir! Sie jagen Mörder. Barbara hat es mir gesagt. Und das finde ich nun wirklich spannend. Haben Sie schon viele zur Strecke gebracht? Und woran erkennen Sie sie? Haben Mörder ein besonders brutales Kinn, oder kleine Ohrläppchen? Einen unsteten Blick vielleicht?«
»Mörder sind Leute wie Sie und ich«, antwortete Berndorf. »Es gibt nichts, woran Sie sie erkennen können.« Er warf noch einmal einen Blick zu den Augen in der Dunkelheit. »Das hat damit zu tun, dass es unendlich viele Gründe gibt, warum Menschen morden. Die meisten tun es vermutlich, weil es sich so ergeben hat. Wenn Sie es darauf anlegen, könnten Sie – vielleicht – feststellen, dass einige Mörder allerdings etwas Gemeinsames haben. Es sind Menschen, die um sich selbst kreisen. Kain hat nicht ertragen, dass Abel mehr Aufmerksamkeit gefunden hat.« Er wagte ein kurzes Lächeln. »Andererseits ist nicht jeder Mensch, der sein eigener Gott ist, deshalb schon ein potenzieller Mörder. Wir kämen sonst mit unserer Arbeit nicht nach.«
Ein spöttischer Kringel Zigarettenrauch schwebte auf ihn zu. Die Linden rauschten berlinerisch. Hinter Berndorf öffnete sich die Balkontür. Er ahnte Barbaras Parfüm.
»Hier seid ihr«, sagte sie. Die Freudigkeit ihrer Stimme klang etwas belegt. »Du wolltest doch Blaufeld kennen lernen?« Es war an die Adresse der Dunkelhaarigen gerichtet. »Er ist vorhin gekommen. Ich stell dich ihm vor.«
»Das ist reizend von dir«, antwortete die andere. »Aber es eilt nicht, wirklich nicht. Eigentlich will ich ihn auch gar nicht kennen lernen, du hast da etwas falsch verstanden . . .«
»Ach, das macht nichts«, erklärte Barbara entschieden. »Er ist sehr interessiert, ich hab ihm von dir erzählt. Nun komm schon . . .«
Wenig später stand Berndorf allein auf dem Balkon. Auch recht, dachte er.
Der Abend verging, Mitternacht kam,
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