Schwemmholz
hatte die Vorderfront des Hauses weggeblasen und das Dach zum Einsturz gebracht. Das freigelegte Treppenhaus brach im dritten Stockwerk ab. Weiter oben wehten die Fetzen einer gestreiften Tapete im Wind.
Der Experte vom Landeskriminalamt stocherte, einen Schutzhelm auf dem Kopf, mit einer Zwinge in den Trümmern. Er hatte darauf bestanden, dass auch Tamar einen Helm aufsetzen müsse. Der Mann war graubärtig und bewegte sich mit wacher Behutsamkeit.
»Das gefällt mir nicht«, sagte er zu Tamar. »Es gefällt mir überhaupt nicht.«
Tamar sah ihn fragend an.
»Dieser Tote da oben lag nicht da, wo er hätte liegen sollen«,
erklärte der LKA-Mann. »Wenn sie es mit Gas machen, dann legen sie den Kopf in den Backofen.« Mit der Zwinge drehte er ein Stück verbogenes, schwarzes Blech um, hob es dann auf und steckte es in einen Plastikbeutel. »Keiner geht in ein anderes Zimmer und wartet es dort ab.« Er stocherte in dem Mörtelstaub, in dem das verbogene Blech gelegen hatte. Dann bückte er sich und hob mit ein kleines Stück grünes Plastik auf und zeigte es Tamar. »Wofür halten Sie das?«
Das Plastikstück ähnelte einer abgerundeten Kante. »Das hat zu einer Art Box gehört«, meinte Tamar. »Irgendwas Rundes, Handliches. Ein Handy?«
»Das denke ich auch«, sagte der Mann vom LKA.
Ein groß gewachsener Mann, der zum Anzug einen Schutzhelm trug, stieg über die Plastikbänder und näherte sich.
»Sie haben hier keinen Zutritt«, sagte Tamar.
Der Mann schaute sie stirnrunzelnd an. »Welf ist mein Name«, sagte er dann, »mir gehört dieses Haus. Eher sollte ich Sie fragen, was Sie hier zu suchen haben.«
»Kriminalpolizei«, antwortete Tamar und zeigte ihm ihren Ausweis. »Ich muss darauf bestehen, dass Sie den abgesperrten Bereich wieder verlassen.«
Entschuldigend hob Welf beide Hände. »Ich bin nicht nur der Eigentümer, sondern auch Architekt, also sozusagen vom Fach. Ich könnte Ihnen behilflich sein. Schließlich weiß ich, welche Mauer stehen bleibt, und welche einfallen kann.«
Der LKA-Mann kniete nieder und hob einen halb zertrümmerten Backstein auf. Von dem Streifenwagen, der vor der Absperrung geparkt war, hatte sich ein uniformierter Polizist genähert. Es war Orrie. Tamar gab ihm ein Zeichen, Orrie hob die Absperrung an und schlüpfte darunter durch.
»Auch wir sind vom Fach«, antwortete Tamar mit kühler Stimme. »Von unserem Fach. Trotzdem ist es freundlich von Ihnen, dass Sie uns helfen wollen. Ich hatte ohnehin vor, einige Punkte mit Ihnen abzuklären. Können Sie es einrichten, um 15 Uhr in der Polizeidirektion zu sein?«
Welf sah auf Orrie hinab, der sich neben ihn gestellt hatte.
Dann wandte er sich wieder Tamar zu. »Wenn Sie Fragen haben, hätte ich eigentlich erwartet, dass Sie zu mir kommen.« Er versuchte ein Lächeln. »Aber bitte. Wenn dein Freund und Helfer ruft.«
»Melden Sie sich an der Pforte im Neuen Bau«, sagte Tamar. »Sie werden dann zu mir gebracht.«
Welf blickte um sich, wie nach einer Antwort suchend. Sein Blick fiel wieder auf Orrie. Der zeigte höflich zur Straße. Der Architekt zuckte mit den Achseln und ging zur Straße zurück. Aus den Augenwinkeln sah er, dass auf der anderen Seite der Absperrung eine Gruppe von Zuschauern stand, unter ihnen ein Mann mit einem Krückstock. Welf stieg in seinen Wagen und startete mit durchdrehenden Reifen.
»Der Eigentümer ist das also«, sagte der LKA-Mann zu Tamar. »Kann das sein, Kollegin, dass die Pläne für den Neubau schon auf dem Tisch liegen?«
Tamar sah ihn schief an. »My dear Watson.« Dann ging sie zu der Absperrung, stieg darüber und begrüßte Berndorf. »Es ist gut, dass Sie zurück sind, Chef«, sagte sie. »Wissen Sie, was passiert ist? Wenn das hier eine halbe Minute später in die Luft geflogen wäre, nur eine halbe Minute – dann wäre Hannah tot, erschlagen unter diesen Trümmern.«
»Hannah? Wieso war sie hier?«
»Sie kümmert sich um diese alten Leute. Sie hat sie in einen Vortrag geschleppt, damit sie einmal etwas anderes erleben als ihre ewig gleichen vier Wände, und wie sie zurückkommen, fallen ihnen diese vier Wände buchstäblich vor die Füße.«
»Ein Erlebnis ist das ja nun allerdings.«
»Sorry, Chef, aber solche Sprüche kann ich gerade nicht brauchen. Wann fangen Sie denn endlich wieder an? Wir kommen allein nicht mehr durch.«
Berndorf schüttelte den Kopf. »Tut mir Leid. Bin weder Chef noch gehe ich in den Neuen Bau zurück.« Verlegen schaute er zur Seite. »Ich
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