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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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wird mit Diesel gefahren.« Dann schlug sie das Buch zu und fasste Achenbach ins Auge. »Du bist Thai-Boxer. Irgendeine der unteren Gewichtsklassen. Ich hab es an den Fotos in deinem Zimmer gesehen. Du kennst die Szene. Also kennst du auch Rodek, Stefan Rodek. Er war Trainer.«
    Kuttler rollte das Rätselmagazin zusammen. »Und ihm hast du den Kanister besorgt. Was meinst du, wie schnell sich das herumspricht, dass du jetzt bei uns bist? Vielleicht ist das sogar dein Glück. Denk daran, was mit Veihle passiert ist. Jetzt, wo man weiß, dass du drinsteckst, hast du vielleicht bloß noch uns als Schutzengel.«
     
    Der Airbus aus Berlin war ohne Verspätung gelandet, was nach Ansicht der Nadelgestreiften schon längst nicht mehr selbstverständlich war. Berndorf war ohne Bedauern von ihnen geschieden und in einem überfüllten Bus von Echterdingen zum Stuttgarter Hauptbahnhof gelangt, wo er mit einiger Mühe gerade noch den Anschluss-ICE nach Ulm erreichte. Vom Zug aus hatte er vergeblich nach den Vorbergen der Alb Ausschau gehalten, aber es waren nur die ausfasernden Schleier tief hängender Regenwolken zu sehen.
    Am Hauptbahnhof hatte er die Straßenbahn bis zum Willy-Brandt-Platz genommen und war von dort zu seiner Wohnung gehumpelt. Als er aufgeschlossen hatte, nahm er erleichtert seine Reisetasche vom Schultergurt, und drehte den Thermostat der Zentralheizung höher. Auf dem Schachtisch lag ein Stapel Post, hauptsächlich Rechnungen, wie er an den Umschlägen
sah, dazwischen die Mai-Ausgaben der »Monatsschrift für Kriminologie« und der »Argumente für ein neues Strafrecht«. Ganz unten lag ein dicker Umschlag mit dem Aufdruck des »Tagblatts«, offenbar das Material, das ihm Frentzel über die Deponie Lettenbühl herausgesucht hatte.
    Er sah sich um. Die Wohnung mutete ihn fremd an, ärmlicher, als er sie in Erinnerung hatte. Er überlegte, woran das wohl liegen mochte, da ihm nichts abhanden gekommen war.
    Auf einmal wusste er, was anders war. Die Nacht starrte schwarz und regnerisch und unverhüllt in sein Wohnzimmer. Der gnädige Grauschimmer, der für gewöhnlich die Fichtenholzregale und die Ledergarnitur vom Möbel-Discounter weichzeichnete, war weg.
    Die Witwe hatte ihm also doch die Fenster geputzt.
    Kopfschüttelnd humpelte er zur Balkontür, um nach dem Efeu und der Topfkiefer zu sehen. Er öffnete die Tür. Frische Luft drang herein und roch nach atlantischen Sturmtiefs. Im Lichtschein, der aus der Tür fiel, sahen die Pflanzen aus, als ob ihnen nichts fehle. Berndorf sog die Luft ein.
    Von der anderen Seite des Bahndamms schimmerte das Licht der nächtlichen Stadt durch den Regen. Er war wieder in Ulm. Aber er hätte nicht sagen mögen, dass er jetzt zu Hause sei.
    Ein krachender Schlag hallte durch die Nacht. Er kam von der anderen Seite des Bahndamms. Der Ostbahnhof lag dort.
     
    Achenbach blickte zu Tamar. Er sah aus, als ob er nachdenke oder etwas zu berechnen versuche. Vielleicht ist er einfach nur müde, dachte Tamar. In der Ferne rollte ein Donnerschlag durch die Nacht. Ein Gewitter?, überlegte Tamar. Komisch.
    »Okay«, sagte Achenbach schließlich. »Natürlich hab ich den Kanister nicht für meinen Wagen gebraucht. Vielleicht hab ich damals schon einen in der Krone gehabt und bin mit einem Kumpel von mir mitgefahren, der einen alten Benz hat. Und vielleicht ist dem Benz der Saft ausgegangen, und ich bin mit dem Kanister zur Tankstelle. Und wie ich zurück bin, sagt
der Kumpel, er hat sich gleich gedacht, dass es die Zuleitung ist, weil, er hat erst am Nachmittag getankt, und ich soll den Kanister in den Kofferraum legen, weiß man, wozu es gut ist.« Achenbach machte eine Pause und warf einen schnellen Blick auf Kuttler. »Also, wenn es so war, was bringt es mir dann, wenn ich euch sage, wer der Kumpel war?«
    Tamar hatte das Buch weggelegt. »Deine Ruhe bringt es dir. Du machst deine Aussage, und wir bringen dich nach Hause in die Heia. Ende. Wenn es aber doch noch ein Problem gibt, können wir über deine Aufnahme ins Zeugenschutzprogramm reden.«
    Achenbach überlegte. Erwartungsvolles Schweigen machte sich breit.
    Misstönend schrillte das Telefon in die Stille.

Donnerstag, 27. Mai
    Der Morgen hatte eine frische Brise gebracht, in der die Absperrungen aus rotweißen Plastikstreifen schaukelten und flatterten. Die Bänder waren um den Schutt gezogen, der den Gehsteig und einen Teil der Fahrbahn mit herausgebrochenen Backsteinen und zerschmetterten Ziegeln bedeckte. Die Explosion

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