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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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allzu großes, aber helles Wohnzimmer, das im Ikea-Stil der frühen Neunzigerjahre möbliert war. Es gab eine Sitzgruppe, mit dunklem braunen Stoff bezogen, den dazugehörigen Couchtisch und eine Schrankwand mit Bücherregal hinter Glas. In einer Ecke war eine nicht zu teure Stereoanlage aufgebaut, und neben dem Fernseher stand ein Videorecorder. An der mit weißer Rauhfaser tapezierten Wand hingen sorgfältig gerahmte Schwarzweißfotos. Ein Gummibaum ließ gelbe Blätter hängen. Am Fenster warteten kugelige Kakteen auf die Sonne. Als Berndorf näher trat, entdeckte er, dass eine von ihnen eine einsame zarte rote Blüte getrieben hatte. Eine Mammillaria? In dem Zimmer war es warm, die Luft roch trocken und abgestanden.
    Berndorf blieb vor dem Bücherregal stehen. Den meisten Platz nahm ein kompletter, in Leder gebundener Brockhaus ein. Daneben standen Hardcover-Ausgaben von John le Carré, Grisham und P. D. James, im untersten Fach eine Reihe von großformatigen Fotobänden. Berndorf zog einen davon heraus, er enthielt Aktaufnahmen, keine Hardcores, nur glatte, desodorierte, weichgespülte Frauenkörper.
    »Bei den Videos ist nichts Auffälliges«, sagte Tamar, die neben ihn getreten war und einen eher abfälligen als ärgerlichen Blick auf die Aufnahmen geworfen hatte. »Ein paar Filme, die Monty-Python-Serie, keine Pornos.«
    Auch die Wände im angrenzenden Schlafzimmer waren mit gerahmten Schwarzweißfotos dekoriert. »Wenn es stimmt, was mir seine Kolleginnen erzählt haben, ist Sander notorischer Junggeselle,« sagte Tamar und wies etwas ratlos auf ein ehelich anmutendes Doppelbett mit blau-weiß karierten Decken.
Berndorf schlug die beiden Betten auf, eines schien völlig frisch bezogen zu sein, das andere sah aus, als ob schon jemand darin geschlafen habe. Flecken, die auf irgendwelche Erregungen hätten hindeuten können, waren nicht zu sehen.
    »Für einen Mann einigermaßen reinlich«, stellte Tamar fest. Berndorf öffnete den Kleiderschrank, in dem Anzüge und Kombinationen hingen, von denen der Verkäufer vermutlich behauptet hatte, sie seien modisch, aber preiswert. In den Seitenfächern lag ordentlich gestapelte Unterwäsche, daneben einige sorgsam übereinander gelegte Ziertaschentücher. Wann hatte man so etwas zuletzt getragen?
    Ein kleiner, dritter Raum war als Arbeitszimmer hergerichtet. In einem Regal standen eine rote Schönfelder-Gesetzessammlung, ein Palandt-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch und dazu Fachzeitschriften, sorgsam in Schubern geordnet. Der Schreibtisch war leer, auf einem Hocker stand ein Drucker, aber es gab keinen dazugehörigen Computer. Berndorf sah sich nach Disketten um, fand aber keine.
    »Komisch«, sagte er und blieb vor dem Schreibtisch stehen. Die Platte aus hellem Fichtenholz war leer bis auf eine Tischlampe, eine Schreibunterlage aus hellbraunem Leder und zwei Bücher. Das eine war ein Duden für die neue Rechtschreibung, das andere hatte einen abgegriffenen Schutzumschlag, auf dem ein adretter junger Mann mit einer Füllfeder in der Hand abgebildet war. Der junge Mann saß vor einem Bogen jungfräulichen Papiers und machte ein lustvolles Gesicht. Der Titel hieß »Mit vorzüglicher Hochachtung – ein Leitfaden für Briefe in allen Lebenslagen«. Berndorf schlug das Buch auf, es war 1973 in Gütersloh erschienen. Er klappte es wieder zu und betrachtete den Schreibtisch. Schließlich beugte er sich über die Schreibunterlage. Deutlich waren vier Druckstellen zu sehen. »Sieht so aus, als ob er einen Laptop benutzt hat«, meinte Tamar. »Er muss ihn mitgenommen haben.«
    Der Schreibtisch hatte auf der einen Seite Schubfächer. Berndorf zog sie nacheinander auf, fand aber nur Bedienungsanleitungen,
Schreib- und Druckpapier sowie Reiseprospekte. »Ich verstehe nicht, warum er sämtliche Disketten mitgenommen hat«, sagte Berndorf schließlich.
    »Vielleicht hat er gar nicht so viele gehabt«, meinte Tamar. »Es soll Leute geben, die brauchen ihre Laptops nur, um Solitair zu spielen.«
    Sie setzten ihren Rundgang fort, gingen durch das Wohnzimmer zurück und kamen in eine kleine Küche. Im Spülbecken war das Geschirr eines bescheidenen Frühstücks gestapelt.
    Im Kühlschrank fanden sich Butter, etwas Schinken, ein paar Eier und ein Frischkäse, der in seiner Plastikschale eingetrocknet war. Berndorf ging weiter in das hellbeige geflieste Bad. Badewanne und Dusche, WC und Handwaschbecken wirkten so, als seien sie regelmäßig sauber gehalten worden. Auf der Ablage

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